282 - Der Schein trügt
gibt, ist Ruhe.«
Wadeel nickte. Er schien sichtlich beeindruckt zu sein. »Ich hätte euch diese technische Möglichkeiten gar nicht zugetraut. Euer Lordkanzler Gundar scheint ein mächtiger Mann zu sein.«
»O ja, das ist er.« Heerb nickte. »Er kann zudem auf die Erfahrung unseres langjährigen Retrologen Robart bauen, dessen Vater auch schon Retrologe war und dessen Großvater auch.«
»Verstehe.« Wadeel bleckte wieder sein Horsaygebiss. »Ich weiß: Die Zeit drängt. Trotzdem noch eine letzte Frage: Von wo aus steuert ihr diesen riesigen Zaun? Dazu braucht ihr doch sicher mächtige Motoren.«
Heerb trat an den Rand der Kaimauer, gegen die zehn Meter weiter unten die Wellen schlugen. Er deutete über den Hafen auf das Ende des gegenüberliegenden Piers. »Seht Ihr den alten Leuchtturm, Kapitaan? Unter ihm wurde die Anlage damals eingebaut. Der Pier musste zu diesem Zweck in der Breite fast verdoppelt werden.«
Wadeel nickte. »Ich hab's mir fast schon gedacht.«
Sie gingen weiter auf Sainpeert zu, dessen malerische bunte Häuschen sich in breiter Front einen Steilhang hinauf zogen. Kurze Zeit später betraten sie die Kommandantur.
Hafenkommandant Andree Sampson saß an seinem Schreibtisch, die übereinandergeschlagenen Beine auf der Tischplatte. Er erhob sich umständlich, als Wadeel mit seiner Begleitung erschien. Nachdem sich die Männer kurz begrüßt hatten, lächelte Sampson. »Ich sehe, dass Sie ein großes Sicherheitsbedürfnis zu haben scheinen, Kapitaan Wadeel. Wäre es trotzdem möglich, dass wir uns für einige Minuten unter vier Augen unterhalten können?«
Wadeel berührte kurz die Pistool in seinem braunen Gürtel, in dessen silberne Schnalle der rote Löwe ziseliert war. Dann machte er eine kurze seitliche Kopfbewegung. Widerspruchslos traten die Leibwachen vor die Tür. Heerb und Anteen folgten.
Sampson bot dem Kapitaan Platz und einen Tee an. Beides akzeptierte Wadeel. »Also, Kommandant, was kann ich für Sie tun?«, fragte er, nachdem er genippt hatte und sein Gegenüber aus seinem einen Auge über den Tassenrand fixierte.
»Kaloi, wenn's recht ist, nicht Kommandant. Nun, Kapitaan, Sie können tatsächlich etwas für mich tun, aber ich kann auch etwas für Sie tun. Wissen Sie, Hafenkommandant ist ein verantwortungsvoller Posten, aber er wird nicht annähernd angemessen bezahlt. Das heißt: Wenn ich ordentlich leben will, und das will ich, muss ich mir etwas hinzuverdienen.«
Wadeel nickte langsam und brachte es fertig, ein wenig mitfühlend auszusehen. »Ich verstehe. Wir alle werden zu schlecht entlohnt.«
Sampsons Gesicht hellte sich schlagartig auf. »Ja, nicht wahr? Ich wusste, dass Sie ein weiser Mann sind, Kapitaan. Wie sonst könnten Sie so ein riesiges Schiff führen? Also, die Sache ist die: Ich bin neben meinem Beruf als Hafenkommandant auch Geschäftsmann mit Leib und Seele.«
»Mit was handeln Sie, Kaloi?«
»Dazu wollte ich gerade kommen. Es gibt auf Guunsay einige Tierrassen, für die Liebhaber auf dem Festland, zum Beispiel in Swansee, hohe Preise bezahlen. Sehr hohe Preise.«
»Aha. Und was sind das für Tiere?«
»Prachtvolle orangerote Salamander zum Beispiel. Aber auch Kampffasane, die nirgendwo auf der Welt aggressiver sind als hier, und Zwerg-Siragippen, deren Fäden ein ausgewachsener Mann nicht zerreißen kann. Diese Viecher werden mir förmlich aus den Händen gerissen. Wobei ich keines davon wirklich in Händen halten möchte.« Sampson kicherte albern.
»Siragippen? So was kaufen die Leute?«
»Und ob. Manche haben große Freude daran, sie in Terrarien zu setzen und zuzuschauen, wie sie Ratzen und Gerule töten.«
Wadeel verzog den Mund. »Interessant.«
»Ja, nicht wahr? Der Tierhandel ist ein wirklich einträgliches Geschäft. Aber nur, wenn man's richtig anstellt, sonst bleibt kein Gewinn mehr übrig. Wussten Sie, dass unser Lordkanzler Gundar von den einheimischen Geschäftsleuten unverschämt hohe Ausfuhrzölle verlangt? Sogar von seinem eigen Fleisch und Blut, wie ich es bin.«
Wadeel grinste über sein in Rage gekommenes Gegenüber. »Wir reden hier also von Schmuggel.«
»Nun ja, so könnte man es nennen. Sehen Sie, aus diesem Grund spreche ich immer wieder die Kapitaane fremder Schiffe an, ob sie meine Tierkisten mitnehmen wollen. Gegen ein Entgelt natürlich, das sie zum Teil von mir und zum Teil von dem Mann bekommen, der die Kisten entgegennimmt. Ein sehr großzügiges Entgelt übrigens, denn ein kleines Risiko ist natürlich immer
Weitere Kostenlose Bücher