282 - Der Schein trügt
dabei. Als ich die EIBREX IV gesehen habe, dachte ich mir gleich, dass dies ein absoluter Glücksfall ist. An Bord gibt es sicher hunderte Möglichkeiten, auch eine größere Anzahl von Kisten zu verstecken.«
»Und wie hoch wäre mein Entgelt, Kaloi?«
»Tausend Coiins. Fünfhundert sofort, fünfhundert bei Ablieferung.«
Wadeel fiel die Kinnlade herunter. Er starrte Sampson an. »Tausend Coiins? Was ist dann erst für Sie drin, Kaloi? Das muss ja wirklich ein verdammt einträgliches Geschäft sein.«
»Wenn der Zoll nichts davon weiß, wie gesagt. Sind Sie dabei?«
Wadeel zögerte nicht und streckte Sampson die Hand hin. »Bin dabei. Wann kommt die Ware? Und wie wird sie angeliefert?«
»Heute Nacht um die dritte Stunde. Ich habe die EIBREX IV nicht umsonst am Cornock-Kai ankern lassen. In der Burgruine gibt es zahlreiche alte Gänge, die unter dem Meer bis nach Sainpeert führen. So bekommt die Hafenwache nichts mit. Sobald sie auf der EIBREX IV verstaut sind, bekommen Sie Ihre Coiins.«
»Und wo habe ich die Kisten abzuliefern?«
»Swansee. Können Sie das einrichten?«
»Problemlos.«
»Bei wem Sie sich melden müssen, erfahren Sie heute Nacht. Aber nun muss ich los, den Transport organisieren.«
Die Männer verabschiedeten sich kurz und knapp. Als der Kapitaan mit seiner Leibwache die Hafenkommandantur verließ, sprangen zwei ebenfalls Bewaffnete, die die ganze Zeit im Nebenraum gelauert hatten, aus dem Fenster, tauchten in einem der zahlreichen Terrassengärten unter und mischten sich kurz darauf unter die Leute.
***
Vergangenheit
Lange Jahre war das Dorf der Barbaren, das nicht weit vom Dorf der Technos entfernt in einer Bucht lag, zur Landseite hin mit Palisaden und weiteren Holzbarrikaden geschützt gewesen. Die existierten zwar immer noch - jetzt allerdings als Teile eines rund dreizehn Meter langen und sechs Meter hohen Holzschiffes, das auf ein Gerüst gebunden etwa zwanzig Meter vom Strand entfernt im Wasser stand. Anrollende Wellen brachen sich am Rumpf. Mehr als drei Dutzend Männer stiegen auf dem Schiff herum, brüllten sich Kommandos zu und waren unermüdlich mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt.
Jolii seufzte. Sie saß auf der Terrasse des Häuptlingshauses, die zum Meer hin gebaut worden war, und beobachtete das Treiben. Nebenher nähte sie ihre kurze Lederhose wieder zusammen; sie war bei der Jagd aufgeschlitzt worden. Weil sich Jolii aber zu sehr auf den Schiffsbau konzentrierte, stach sie sich in die Fingerkuppe. »Au!«, rief sie laut und saugte den austretenden Blutstropfen ab.
Joliis zehnjähriger Bruder Maare kam aus der Tür gelaufen. »Was ist denn los?«, fragte er mit seiner noch hohen Kinderstimme.
»Gepiekst. Nicht weiter schlimm. Ich hab meinen Finger wenigstens noch.«
Jolii und Maare grinsten sich an. Der Junge wusste genau, worauf sie anspielte.
Nun schaute auch Maare auf den Strand. »Schönes Schiff. Das schwimmt bestimmt ganz wunderbar.«
»Nein, wird es nicht.« Jolii schüttelte den Kopf, dass die geflochtenen Zöpfchen nur so flogen.
Ihr Bruder schaute sie aus großen Augen an. »Warum? Unsere Boote schwimmen doch alle.«
»Natürlich. Aber das da unten ist mindestens zwanzig Mal so groß. So große Schiffe haben wir noch nie gebaut, damit haben wir keine Erfahrung. Und dann muss es noch so schnell gehen. Ich sag dir, das schwimmt nicht.«
»Schwimmt doch. Unsere Schiffsbaumeister sind die besten der Welt, sagt Deed immer.«
»Ja. Er hat auch gesagt, dass er mal Inselherrscher wird und wir alle in Gundars Palast wohnen. Na, jetzt wohnt zumindest er schon mal drin. Vielleicht kann er sich ja noch aus dem Kerker in die besseren Stockwerke hocharbeiten.«
Zwei Tage später war das Schiff fertig. Ein mächtiges Segel prangte an dem zehn Meter hohen Hauptmast. Sieben kleinere Boote, besetzt mit jeweils vier Ruderern, schaukelten in den leichten Wellen; drei Boote vor dem Schiff und jeweils zwei links und rechts daneben. Dicke Taue verbanden sie mit ihm.
Die Männer warteten auf die Flut. Wenn sie am höchsten war, würde Braham persönlich die Taue kappen, die das Schiff noch auf dem Werftgerüst hielten. Dann würden die Ruderer es weiter hinaus auf die offene See ziehen.
Dann war es so weit. Der Schamane, der zuvor mit seinem Knochenorakel unter lautem Jubel gutes Gelingen prophezeit hatte, hieb mit einer Machete die Halteseile durch. Es knirschte im Schiffsrumpf, das Holz schien zu stöhnen. Gleichzeitig neigte sich das Schiff unter dem
Weitere Kostenlose Bücher