2883 - Die Schattenmacht
zur Seite trat. Wir stießen nach wenigen Schritten auf eine Wohnlandschaft über zwei Ebenen, die durch eine breite Treppe getrennt wurde. Im unteren Bereich gab es eine Essecke mit Zugang zu einer Pantryküche.
»Mistress Gibbs befindet sich im oberen Bereich. Sie erlauben, dass ich vorausgehe?«, sagte der Butler.
Wir nickten automatisch und schauten uns hinter seinem Rücken amüsiert an. Selbst in dieser exklusiven Gegend von New York gab es nur wenige Familien, die sich einen waschechten Butler leisteten. Mir entging nicht die minimale Ausbeulung unter der Weste in Höhe der rechten Hüfte des Mannes. Er war offensichtlich weit mehr als nur der Butler.
»Die Herren vom FBI sind eingetroffen, Ma’am.«
Mit einer knappen Verbeugung eilte der Butler sofort wieder davon, kaum dass er uns angekündigt hatte. Mrs Gibbs lag auf einem Diwan aus weißem Leder, wodurch der schwarze Hosenanzug und die blasse Gesichtshaut noch stärker auffielen. Die Rötung der Augenwinkel und die verkrampften Hände zeigten das Bild eines trauernden Menschen. Echte oder gespielte Trauer?
»Special Agent Cotton. Das ist mein Partner, Special Agent Decker.«
Die Dame des Hauses warf nur einen gelangweilten Blick auf unsere Dienstausweise, starrte mich herausfordernd an.
»Sagen Sie mir, dass Sie den Mörder von Ryan gefunden haben!«, forderte sie.
Die nasale Ostküstenstimme verriet ihre Herkunft. Trotz ihres mitgenommenen Zustands registrierte ich die sorgfältig getönten Haare. Mrs Gibbs war dreiundfünfzig Jahre alt, weshalb ich das Weizenblond ihrer Haare für nicht ganz natürlich hielt. Normalerweise legte Mrs Gibbs wahrscheinlich sehr viel Wert darauf, dass man sie in der Öffentlichkeit nur als untadelige Dame zu Gesicht bekam.
»Leider noch nicht, Ma’ am. Wir bedauern Ihren Verlust«, antwortete ich.
Ich sprach ihr absichtlich mein Mitgefühl aus. Es war interessant zu sehen, wie sie damit umging. Daniela Gibbs holte zweimal tief Atem, bevor sie dankbar nickte.
»Danke, Agent Cotton. Ryan und ich sind nach unserer Trennung wieder die Freunde geworden, die wir bereits auf der Highschool waren. Freunde sollten nicht heiraten. So etwas geht meistens schief«, erwiderte sie.
Das klang plausibel und die tiefe Traurigkeit nicht gespielt. In mir wuchsen Zweifel, ob wir in dieser Wohnung oder bei dieser Frau ein Motiv für den Mord an dem Senator finden würden.
»Sie haben sicherlich selbst schon darüber nachgedacht, Ma’am. Gibt es einen Menschen, der dem Senator nach dem Leben trachtete?«, fragte ich.
Sie hatte die ganze Nacht darüber nachgedacht und konnte uns doch keinen Namen nennen. Dieser Besuch entwickelte sich zu einem Fehlschlag. Selten hatte ich eine Ermittlung erlebt, in der wir dermaßen lange nach einem Motiv suchen mussten.
»Ryan war ein Machtmensch, Agent Cotton. Er hat es dennoch geschafft, seinen Weg an die Macht ohne große Kämpfe zu bewältigen. Meistens konnte er mögliche Kontrahenten allein durch seinen brillanten Verstand aus dem Rennen werfen. Deswegen hat man ihn zum Berater in Washington gemacht«, erzählte Daniela Gibbs.
Sie meinte damit sicherlich seine Arbeit für den Verteidigungsausschuss.
»Ja, wir wissen um seine Arbeit im Ausschuss«, sagte ich.
Einen Augenblick lang schaute sie mich verwirrt an, sodass mir klar wurde, wie falsch meine Annahme war. Daniela Gibbs sprach von einer anderen Funktion, die uns noch nicht bekannt gewesen war.
»Sie meinten etwas anderes, Mistress Gibbs. Welche Beratungsfunktion hatte der Senator in Washington neben seiner Ausschusstätigkeit?«, hakte ich nach.
Sie druckste ein wenig herum, doch ich konnte sie letztlich davon überzeugen, dass sie auch vertrauliches Wissen mit uns teilen musste.
»Ich weiß nur sehr wenig darüber, Agent Cotton. Ryan gehörte zu einem exklusiven Zirkel, der für das Oval Office als Berater tätig ist«, antwortete sie schließlich.
Das war kaum konkreter als zuvor. Trotzdem erschien mir dieser Hinweis von einiger Wichtigkeit zu sein, weshalb ich bereits auf dem Weg zum Jaguar unseren Chef darüber informierte. Mr High hatte ebenfalls eine beunruhigende Neuigkeit für uns.
»Wir sollen uns eine Times kaufen«, sagte ich zu Phil.
Da mir in unmittelbarer Nähe des Apartmenthauses keine Zeitungsverkäufer aufgefallen waren, wandte ich mich an den Portiersdienst. Wie erwartet konnte ich mir dort die aktuelle Ausgabe der Zeitung anschauen.
»Unter den Todesanzeigen soll es stehen«, sagte ich.
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