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29 - Im Lande des Mahdi III

29 - Im Lande des Mahdi III

Titel: 29 - Im Lande des Mahdi III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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jeden Augenblick von den Wächtern gesehen werden, welche der Scheik hatte ausstellen wollen.
    Ich beschloß aus diesem Grund, die Fährte nun zu verlassen. Die Beschreibung, welche der Wirt uns geliefert hatte, und der Blick, mit welchem ich die vor uns liegenden Höhen und Hänge musterte, genügten, mir zu zeigen, wie wir uns zu verhalten hatten, um unbemerkt an die Feinde zu kommen. Der Scheik hatte unsere Ankunft für möglich gehalten; er war jedenfalls überzeugt, daß wir uns nach seiner Fährte halten würden, und richtete also seine Aufmerksamkeit nach der Gegend, aus welcher er selbst gekommen war, nämlich am Wasser hinauf. Wir hatten also die Aufgabe, von oben herabzukommen. Darum verließen wir nun das Wasserbett und drangen in den Wald ein, der hier stark in die Höhe stieg. Wir hatten tüchtig zu klettern, und es dauerte fast eine Stunde, bis wir den Kamm, auf den ich es abgesehen hatte, erreichten. Dort angekommen, sahen wir jenseits, in gleicher Höhe mit uns, die Musallah el Amwat liegen.
    Es war ein großartiger Ausblick, der sich uns hier bot. Unter uns brandete weithin ein ganzes Meer von hellen Laub- und dunklen Nadelholzwogen, während vor uns und zu beiden Seiten die finstern Mauern des Gebirges starrten. Solche Formen waren nicht im Harz oder Thüringer Wald, nicht im Erzgebirge oder den Sudeten, auch nicht in Tirol, der Schweiz oder den Pyrenäen zu finden. Freilich konnten sie in Beziehung auf Höhe, Massigkeit und Schwere nicht mit den letztgenannten Gebirgen verglichen werden; aber ihre Physiognomie war eine so scharfe, charaktervolle, wild drohende und unerbittliche, daß mir der Vergleich mit dem Charakter und den Verhältnissen der hier hausenden Stämme förmlich aufgezwungen wurde. Der Mensch ist überall, in Süd und Nord, auf der Ebene und im Gebirge, ein Kind der Scholle, auf welcher er seine ersten Schritte tut!
    Geradezu wunderbar nahm sich auf den gegenüberliegenden Felsen die ‚Kapelle der Toten‘ aus. Dieser stille von der übrigen Erde ab- und dem Himmel nahe gelegene Felsenthron war wie geschaffen gewesen als Zufluchtsort jener vertriebenen, verfolgten und abgehetzten Bekenner des Christentums, und dennoch war der schiitische Fanatismus wie ein Bluthund auf ihren Spuren geblieben, grad so wie heut wir auf der Fährte der Kelhurkurden. Von hier hatten sie nicht weiter gekonnt, über die Bergesmauern und über den hochstarrenden Haß der Verfolger hinüber, und darum waren sie den Weg gegangen, den einzigen, der ihnen hier übrigblieb, den Weg in den Tod.
    Die Musallah, deren Trümmer wir vor uns liegen sahen, war weder ein imposantes Bauwerk gewesen noch nach irgendeinem Stil errichtet worden; trotzdem wirkten ihre Überreste noch jetzt auf uns, weil sie den Mittelpunkt einer unvergleichlichen Gebirgsszenerie bildeten und zugleich ein Denkmal zum Gedächtnisse derer, welche gehorsam gewesen waren dem Gottesruf: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!“ Die Mauern hatten aus unbehauenen Natursteinen bestanden, wie sie von dem nahen Felsensturz geboten wurden, und das niedrige aber breite Tor war aus drei schweren Monolithen zusammengefügt. Die zwei leeren Fensteröffnungen starrten wie Simons ausgestochene Augen, und über dem zerstörten Heiligtum ragte als Decke ein Felsenvorstoß aus der Bergwand, drohend und schwer wie der Fluch, den der sterbende Priester noch im Verscheiden ausgesprochen hatte. Als ob dieser Fluch erst gestern ausgestoßen worden sei und die ‚Zeit keine Zeit gefunden‘ habe, mit sanfter, gründender Hand den Bann zu lösen, es war kein Baum, kein einziger Strauch in der Nähe zu sehen und keine Staude, kein Moos, keine Flechte hatte das Mitleid gehabt, die Runen zu übergrünen, die ich so deutlich lesen konnte, die Runen: ‚Seid verflucht!‘ Erst weiterhin, wo das Chaos des Bergsturzes begann, wanden sich einzelne Dornen um das Gestein und krochen, im Verein immer dichter werdend, mit Fairen, Kaiserkronen und Weidenröschen untermischt, in das Trümmerfeld hinein und hoch noch über dasselbe hinauf; dann läuteten riesige Glockenblumen dem Wald entgegen, der hinter und über dem Wirrwarr wieder begann. Dort, unter dem Dornengestrüpp und nirgendwo anders mußte das Lager der Bären zu suchen sein. Halef hatte denselben Gedanken, denn er sagte, indem er mit der Hand hinüberzeigte: „Sihdi, da drüben, wo du die große Lahbahta el Higara (Unordnung der Steine) erblickst, muß die Wohnung des ‚Bären der

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