29 - Im Lande des Mahdi III
verdanken, welches da hinten, wo ich lag, aus der Erde gekommen war und dann nach der Wiese floß; das war wohl die ursprüngliche Quelle des Baches gewesen, auf dessen Bett die Kurden heraufgeritten waren; sie hatte sich aber als ‚wandernde Quelle‘, die man nicht selten findet, vorwärts bewegt; jetzt speiste sie den Teich auf der Wiese, und der Einschnitt, den sie in den Boden des Waldes gefressen hatte, war trocken geworden. Er gab nun einen Ruheort, wie man ihn sich gar nicht bequemer denken konnte. Vor Wind und durch das dichte Laub der Bäume auch vor Regen geschützt, konnte man es sich hier in dem tiefen, weichen Moos so bequem machen, wie draußen auf der Wiese nicht. Das hatte Schir Samurek, der Scheik der Kelhurkurden, gar wohl bemerkt und darum diese bequeme Stelle für sich und seine nächste Umgebung ausgewählt. Diese Umgebung bestand aus noch einem Kelhur, welcher den Wächter machte, und den Gefangenen. Man kann sich denken, welche Freude ich hatte, als ich grad diejenigen vor mir sah, welche für mich die Hauptpersonen waren!
Grad unter mir, also am hintersten Ende des Einschnittes, saß Ssali Ben Aqil mit seinem Vater, nahe bei ihnen der Scheik; sie waren an den Fuß- und Armgelenken gefesselt. Dann kamen die übrigen Gefangenen, also der Nezanum und die Männer aus Khoi, die ebenso gebunden waren, und vor ihnen saß, die geladene Flinte in der Hand, der erwähnte Kelhur, welcher die Gefangenen zu beaufsichtigen hatte, was für jetzt, bei Tage, keine anstrengende Aufgabe war.
Der Scheik und die beiden Bebbeh waren diejenigen gewesen, deren Stimmen ich vorhin gehört hatte; sie sprachen auch jetzt noch miteinander, wobei, wie ich sehr bald hörte, Schir Samurek den Zweck verfolgte, sie mit Beleidigungen zu quälen und ihnen schon jetzt einen Vorgeschmack ihres grausamen Todes zu geben. Er schien ihnen soeben eine dieser letzteren Bemerkungen gemacht zu haben, denn ich hörte Ssali Ben Aqil in einem Ton, welcher nach Schauder klang, antworten: „Du bist ein Teufel, ein grausamer Teufel, und wenn ich nicht wüßte, daß der Satan in der Hölle wohnt, würde ich denken, du seist dieser oberste der bösen Geister!“
„Was ist der Satan gegen mich, wenn es sich um die Blutrache handelt!“ höhnte der Scheik. „Er muß sich verkriechen, denn seine Gedanken wären nicht auf die Bären und auf den Honig gekommen, mit dem ich euch bestreichen lassen werde. Da seht ihr ihn. In einer halben Stunde wird es Zeit sein, zu beginnen.“
Er deutete bei diesen Worten auf ein neben ihm liegendes, mit großen Blättern des wilden Kürbis dicht umwickeltes Paket, welches also wohl die Honigwaben enthielt. Als er keine Entgegnung erhielt, fuhr er fort: „Du bist ein Lehrer und Prediger der Religion und hast geglaubt, den Mahdi entdecken zu können, welcher der Führer zum Entzücken und zur Seligkeit sein soll. Suche ihn doch und finde ihn doch heut, du Tor! Heut ist dir so ein Führer aus der Qual zum Genuß, aus dem Tod zum Leben nötiger als je! Bete zu Allah, ob er dich erretten wird! Bete zu Mohammed, ob er dir Hilfe bringt! Richte deine Seele zu Obeïd-Allah, dem ersten Fatimiden, und zu allen übrigen, die ihm in der Lüge nachgefolgt sind, indem sie sich für den Mahdi ausgaben! Flehe sie doch an, dich vom Tod zu befreien! Kein Allah, kein Prophet und kein Mahdi kann dich erlösen!“
„Wenn ich ernstlich darum bitte, werden sie uns befreien“, antwortete Ssali, „denn der Koran sagt, daß das Gebet dem Feuer gleiche, welches selbst das härteste Erz zum Schmelzen bringt.“
„Du Tor!“ lachte der Scheik. „Kein Gott handelt gegen seine eigenen Gesetze und kein Prophet gegen seine eigenen Lehren. Hat nicht Allah die Blutrache geboten, als er sagte: Auge um Auge, Leben um Leben? War es nicht Mohammed, der seinem Stamm, den Arab Koreisch, in jeder Blutsfehde mit dem Schwert voranging? Was soll dir das Gebet zu ihnen helfen, da weder Allah noch der Prophet jemals verziehen hat? Gott und Mohammed, sie sind durch sich selbst gezwungen, mir zu helfen, aber nicht dir! Es gibt keine Gesetzgebung und keine Lehre, welche den Mut besitzt, im vollen Ernst die Rache zu verbieten und die Verzeihung an ihre Stelle zu setzen.“
„Es gibt eine solche Lehre!“
„Nein!“
„Es gibt eine; die christliche ist's!“
„Dummkopf! Glaubst du denn, daß es dem Gekreuzigten und seinen Nachfolgern Ernst damit gewesen ist? Beobachte die Christen, was sie tun! Gleichen ihre Werke ihren Lehren? Geben sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher