29 - Im Lande des Mahdi III
Scheik nahm diese Worte gar nicht etwa mit Ironie entgegen, o nein, das fiel ihm gar nicht ein, denn er war als Orientale diese Ausdrucksweise nur zu gewöhnt; er machte vielmehr ein ganz betroffenes Gesicht und erwiderte, sich mir wieder zuwendend:
„Was ich zu tun habe, werde ich in wenigen Augenblicken wissen. Weißt du, Emir, was diese zwei Bebbeh gegen euch verbrochen haben?“
„Ich weiß es“, antwortete ich.
„Daß Aqil die Schuld am Raub eurer Pferde trägt?“
„Ja.“
„Und daß Ssali Ben Aqil euch nach dem Leben getrachtet hat?“
„Auch das.“
„Und du hast dennoch mit den Bären gekämpft, um sie vom Tod zu erretten?“
„Das war meine Pflicht, denn ich bin ein Christ.“
„Was gedenkst du nun mit ihnen zu tun? Ihr steht in Blutrache mit ihnen und habt doch nur die Schrecklichkeit ihres Todes mildern wollen, da sie nun von euern Kugeln sterben müssen?“
„Nein. Als Christ kenne ich nur die Verzeihung, nicht aber die Rache. Ich habe ihnen die Freiheit geschenkt. Sie können gehen, wohin sie wollen, nachdem ich dich gezwungen habe, ihnen ihre Pferde und ihre Waffen wieder herauszugeben.“
Da warf er mir, indem sein ganzes Gesicht sich in ein einziges; großes und erstauntes Fragezeichen verwandelte, die Worte zu:
„Hast du im Ernst gesprochen, Emir?“
„Im vollsten Ernst.“
„Welch Wunder, welch ein großes, unbegreifliches Wunder sehe ich da! So ist es also wahr, was man von dir erzählt: Du erweist selbst deinen Todfeinden Gutes, weil du ein Bekenner des Gekreuzigten bist. Weißt du denn, daß nun auch Rache zwischen euch und mir vorhanden ist?“
„Ich habe dir schon gesagt, daß ich keine Rache übe.“
„Aber ich befinde mich doch in deinen Händen, ich, der ich euch töten wollte. Was hast du über mich beschlossen?“
„Wenn du tust, was ich von dir verlange, werde ich dich als Freund betrachten und dir die Freiheit wiedergeben.“
„Und was ist es, was du von mir forderst?“
„Daß du erstens Aqil die Waffen und die Pferde wiedergibst; daß du zweitens die Gefangenen aus Khoi mit allem, was ihnen gehört, zurückreiten läßt, und daß du drittens die zehntausend Piaster des Wirtes, welche du Aqil abgenommen hast, mir zur Besorgung an ihn ausantwortest.“
„Aber was bleibt da für dich? Was hast du davon, daß du gegen diese Leute und auch gegen mich so gütig und barmherzig bist?“
„Ich habe viel, sehr viel davon! Das Bewußtsein, den Geboten des christlichen Glaubens gehorsam gewesen zu sein, ist mir hundertmal mehr wert, als alles andere, was ich erlangen könnte. Isa Ben Marryam, der Gekreuzigte, hat uns befohlen: Liebet eure Feinde; segnet die, welche euch verfluchen, und tut denen wohl, welche euch hassen; dann seid ihr gehorsame Kinder eures Vaters im Himmel! Ich möchte gern ein solches Kind Gottes sein, und der Gedanke, daß der alliebende Vater heut mit mir zufrieden ist, macht mich glücklicher, als der Reichtum der ganzen Erde mich machen könnte.“
Da sah ich, daß Schir Samurek die Zähne zusammenbiß; seine Lippen zuckten, und indem eine tiefe Bewegung über seine Züge ging, rief er aus:
„Effendi, du hast mich zweimal besiegt, erst durch deine List und Verwegenheit und nun durch deine Versöhnung predigende Frömmigkeit. Ich will noch nicht sagen, was ich mir in diesem Augenblick vorgenommen habe; ich will dich nur noch einmal, zum letzten Mal, durch eine Bitte prüfen: Gib mir, o Emir, jetzt einmal die Hände frei, daß ich sie zum Gebet falten kann!“
War das Betrug, war es eine List? Ein forschender Blick in sein Gesicht beantwortete mir diese Frage mit einem überzeugten, sichern ‚Nein!‘ Ich schnitt ihm alle Fesseln durch und sagte:
„Wohlan, du sollst erfahren, wie ein Christ jetzt handelt, während ein Anhänger Mohammeds dich auslachen und verhöhnen würde. Ich gebe dir nicht nur die Hände und, was du gar nicht erbeten hast, auch die Füße frei; ich gebe dich ganz frei. Du kannst also gehen, wohin es dir beliebt. Wenn dich der traurige Ruhm stolz und glücklich machen kann, einen ehrlichen Mann getäuscht zu haben, der dir Glauben und Vertrauen schenkte, obgleich du dich in seiner Gewalt befandest und die Rache ihm deinen Tod befahl, so gehe hin und rühme dich; ich habe nichts dagegen!“
Es war weniger Überlegung als vielmehr eine Eingebung, welche mich so handeln ließ. Die Folgen davon waren sofort zu sehen und zu hören. Aqil und Ssali schrien vor Verwunderung fast laut auf; Halef streckte beide
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