29 - Im Lande des Mahdi III
auch fühlen mußte.
So saß ich, bis die ersten befiederten Boten des Morgens erwachten und ihre Stimmen hören ließen, obgleich es noch ganz dunkel war. Sie weckten Halef auf, und auch die beiden Bebbeh erwachten. Der bisher schwarze Wolkenhimmel begann, sich grau zu färben. Da fragte Halef leise:
„Darf ich sprechen, Sihdi, oder müssen wir jetzt noch schweigen?“
„Schweig lieber“, antwortete ich. „Es gibt für dich nichts Wichtiges zu fragen; interessanter wird es sein, den Scheik zu beobachten. Ich werde ihm eine andere Lage geben, daß er euch gleich sehen kann.“
Ich schob mich mit Schir Samurek ein Stückchen fort, zog mein Messer, setzte es ihm auf die Brust und sagte:
„Der Knebel hat dir den Mund bisher verschlossen; ich werde ihn entfernen, damit du leichter Atem holen kannst. Ich erlaube dir auch, mit mir zu sprechen, doch nur so, daß ich es höre. Sprichst du lauter, oder wagst du es gar, um Hilfe zu rufen, so ist dieser Ruf der letzte deines Lebens, denn in demselben Augenblick wird mein Messer dir im Herzen stecken!“
Ich zog ihm den Knebel heraus. Er holte einige Male frei und tief Atem und fragte dann, die Worte hastig, aber doch leise hervorstoßend:
„Ssuker Chodeh – Gott sei Dank! Fast wäre ich erstickt! Wo befinde ich mich?“
„Das wirst du bald selbst sehen, ohne daß ich es dir zu sagen brauche.“
„So will ich wenigstens wissen, wer du bist!“
„Auch das brauche ich dir nicht zu sagen; du wirst in kurzer Zeit meinem Namen selbst finden.“
„Du mußt der Teufel sein, denn ich war plötzlich tot, und als mir das Leben wiederkehrte, war ich gefesselt und geknebelt und lag an einem ganz andern Ort. Ein Mensch kann das nicht mit mir getan haben!“
„Ein Teufel auch nicht, denn sonst wärst du nicht hier, sondern in der Hölle aufgewacht. Ich habe dich mit dem Kopf hoch gelegt. Blicke geradeaus, bis du sehen kannst, wo du dich befindest. Aber vergiß ja meine Warnung nicht: Ein lauter Ruf bringt dir sofort den Tod! Für jetzt will ich, daß du schweigest.“
Er gehorchte.
Die Wolken färbten sich langsam, aber stetig heller, und ein leiser Dämmerschein ließ die Spitze des gegenüberliegenden Berges sichtbar werden, an dem er nach und nach niederglitt. Das Tal lag noch schwarz unter uns. Links drüben war der Wasserfall in undurchdringlich dunkeln Dunst gehüllt, und über dem Teich unter uns, wo die Kurden lagen, schwebten ebenso dichte Nebelballen; bei ihnen war es noch Nacht. Für uns hier oben aber wurde der erste fahle Morgenschein heller; er glitt gegenüber am Berg nieder, bis er die Musallah el Amwat erreichte; die wir nun zwar nicht ganz klar, sondern wie durch einen Schleier, aber doch ziemlich deutlich liegen sahen. Da zuckte Schir Samurek zusammen, riß die Augen auf und starrte hinüber. Es war der Schreck, der ihn ergriff, denn er sah unter der Tür den Riesenbär mit dem Kreuz in den Pranken stehen. Unsere Sicherheit nötigte mich zu der schnellen Warnung:
„Ja kein lautes Wort, sonst ersteche ich dich sofort!“
Dabei setzte ich ihm die Messerspitze auf die Brust. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder, machte sie abermals zu und riß sie wieder auf; er konnte sich nicht irren; er konnte nicht daran zweifeln: der Bär stand mit dem Kreuz drüben und blieb unbeweglich stehen. Da legte ich Schir Samurek mit starkem Druck die Hand um den Oberarm und sagte langsam und schwer die Worte, die ich aus seinem eigenen Mund gehört hatte:
„Wenn der Bär des toten Priesters da drüben am Eingang der Musallah steht und das Kreuz der Christen in den Tatzen hält, dann will ich glauben, daß es diesem Kara Ben Nemsi, diesem Christenhund, gelingen kann, euch aus unsern Händen zu erretten, eher aber nicht!“
Da wurde sein Gesicht aschgrau; die Augenlider sanken herab, und die Wangen fielen ihm ein; er sah plötzlich einer Leiche ähnlich; sein Atem ging schwer und kam wie stöhnend über seine farblos gewordenen Lippen. Ich schwieg, um den Eindruck meiner Worte und dessen, was er sah, ungeschwächt wirken zu lassen. Das dauerte eine ganze Weile; dann wandte er mir sein Gesicht zu, öffnete die Augen wieder, richtete den verstörten Blick auf mich und fragte:
„Bist du etwa dieser Christ?“
„Ich bin es“, nickte ich.
„Der Emir Kara Ben Nemsi Effendi?“
„Ja.“
„Allah – Allah – Allah!“ seufzte er dreimal, und es dauerte wieder eine Weile, bis er sich erkundigte: „Dieser Bär bewegt sich nicht. Ist er
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