29 - Im Lande des Mahdi III
Wirt zum Rausch und zur hundertundneunten Sure geführt hatte. Seiner Ansicht nach sollte der Gast noch betrunkener sein als er. Ich richtete also gleich beim Eintritt mein Auge auf diesen Mann. Er hob den Kopf ein wenig und sah uns an; sein scharfer, forschender Blick war nicht der eines Betrunkenen; so kam es mir vor, obgleich er den Kopf gleich wieder auf die Arme legte. Hatte ich mich getäuscht? Befand sich der Wirt im Irrtum? Oder verstellte sich dieser Mann? Wenn dies letztere der Fall war, so mußte dem eine Absicht zugrunde liegen, welche keine gute sein konnte. Wenn man mich fragt, wie ich zu diesem Verdacht kommen konnte, so antworte ich: Wenn man sich auf jahrelangen Reisen so oft in Gefahr befunden hat wie ich, so gewöhnt man sich, den geringsten Umstand zu beachten, das kleinste Vorkommnis schnell zu erfassen und alles, was sich nicht sofort erklären läßt, mit Mißtrauen zu betrachten. Dieser Gewohnheit habe ich es mit zu verdanken, daß ich zwar die Narben vieler Wunden an mir trage, aber doch noch am Leben bin.
Gekleidet war dieser Mann in echt kurdischer Weise:
Seinen Kopf bedeckte eine eigentümliche runde Ledermütze, deren Rand so viel und tiefwinkelig eingeschnitten war, daß die dadurch entstandenen Spitzen vorn bis ins Gesicht, an den Seiten über die Ohren und hinten bis über den Nacken herabhingen. Sie glich einer großen Spinne, deren Körper auf dem Scheitel sitzt, während sie ihre vielen und langen Beine über die anderen Teile des Kopfes streckt. Den Oberkörper bedeckte eine dunkle Weste, welche oben so ausgeschnitten war, daß der sehnige, braune Hals freiblieb; sie hatte oben enge und unten weit werdende Ärmel, aus denen die nackten, knochigen Arme bis zum Ellbogen hervorblickten. Die Lederhose steckte unten in kurzen, stark gearbeiteten Stiefeln. Was der Mann im Gürtel hatte, das konnte ich wegen seiner vorneüberliegenden Stellung nicht sehen, doch lehnte neben ihm eine lange, orientalische Flinte an der Kante des Tisches. Sein Haar war weiß; er mochte ungefähr sechzig Jahre alt sein, doch machte er, obgleich ich ihn daraufhin nicht genau betrachten konnte, ganz und gar nicht den Eindruck eines alten, hinfälligen Mannes.
Mein Halef bekümmerte sich nicht um diesen Gast; er ließ seine Blicke in der Stube umherschweifen, nickte zufrieden, als er am Herd ein Feuer brennen sah, dessen Rauch, der niedrigen Decke langsam folgend, dann durch die Fensteröffnungen entwich, und sagte:
„Weißt du, Effendi, mit Hilfe der Weidenwände dort könnten wir uns hier eine abgesonderte Stube herrichten. Was meinst du dazu?“
„Der Gedanke ist nicht übel.“
„Und ein zweiter Gedanke, den ich habe, ist noch weniger übel, Effendi: Wir könnten auch die Pferde mit hereinnehmen. Da ständen sie gut, wir hätten sie bei uns und brauchten nicht aufzupassen.“
Als der Wirt dies hörte, sagte er schnell: „Die Pferde mit herein in die Stube? Allah muß euch ganz besondere Köpfe gegeben haben, da so absonderliche Gedanken drin geboren werden. Wie könnt ihr denken, daß ich den schönsten Raum des Hauses, der eine Zierde des ganzen Ortes ist, zum Pferdestall machen lasse!“
„Wir bezahlen es!“ antwortete Halef.
„Bezahlen? Ich mag euer Geld nicht. Ich habe mehr, viel mehr Geld im Haus, als ihr besitzen könnt.“
„So bist du wohl ein sehr reicher Mann?“
„Das nicht, denn das Geld gehört nicht mir, sondern der Regierung des Pascha, für den ich es als der angestellte Charadschi (Steuereinnehmer) dieses Kreises einkassiert habe. Es sind über zehntausend Piaster. Habt ihr etwa so viel in euren Taschen?“
„Dummkopf!“ antwortete Halef, der gern mehr von sich sagte, als ich ihm erlauben konnte. „Wir sind reicher als selbst dein Pascha, und was wir besitzen, ist unser Eigentum; dir aber gehört nichts von dem, was du hier liegen hast. Wieviel verlangst du von uns, wenn wir uns hier eine eigene Stube bauen?“
„Wie lange wollt ihr bleiben?“
„Vier Tage.“
„So zahlt ihr für die Stube täglich zehn Piaster und für das Essen – – –“
„Das bereiten wir uns selbst“, fiel ihm Hadschi in die Rede. „Wenn du einwilligst, daß wir die Pferde mit hereinnehmen, zahlen wir dir zwanzig Piaster für den Tag. Greif schnell zu, denn so viel hat dir noch nie ein Gast eingebracht!“
Der noch immer betrunkene Mann willigte nach einigem Hin- und Herreden ein und teilte mittels einer Scheidewand den hinteren Teil der Stube für uns ab, worauf Halef die
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