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29 - Im Lande des Mahdi III

29 - Im Lande des Mahdi III

Titel: 29 - Im Lande des Mahdi III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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raffte seine Decke zusammen und eilte zur Tür hinaus. Einige Minuten später ritt er davon, ohne, wie wir später hörten, der Wirtin etwas bezahlt zu haben. Als der Hufschlag seines Pferdes in der Stille der Nacht verklungen war, machte Halef ein teils ärgerliches und teils lustiges Gesicht und sagte: „Da ist er hin, ganz so, wie ich gedacht habe, ohne Strafe und ohne Hiebe! Und dabei glaubt er nicht einmal, daß es dein Ernst gewesen ist! Oh, Sihdi, Sihdi, was muß ich alles an dir erleben! Du erfreust deine Feinde mit Barmherzigkeit und betrübst deine Freunde mit Wehmut über das Leder der Peitsche, die sie nicht schwingen dürfen! Ich hätte fürs Leben gern einmal bis hundert gezählt; nun aber ist mir durch deine Güte der Ort verlorengegangen, auf den ich zählen wollte. Wenn du in dieser Weise fortfährst, deine Feinde zu belohnen, wird jeder kluge Mann es vorziehen, dein Gegner anstatt dein Freund zu sein!“
    „Räsoniere immerhin! Ich weiß doch, lieber Halef, daß ich ganz nach deinem Herzen gehandelt habe. Früher warst auch du ein Anhänger der Thar und konntest nicht genug Blut zu sehen bekommen; jetzt aber tut es dir weh, einen Wurm zu treten.“
    „Oh, Effendi, da hast du recht, sehr recht, denn je größer der Wurm ist, desto weher tut es mir, und wenn er gar in Menschengestalt erscheint, so ist der Islam mit allen Kalifen und Auslegungen vergessen, und ich denke nur an dich, aus dem ich doch einst einen Moslem machen wollte. Wenn das so fortgeht, wirst du mich noch dahin bringen, von einem eurer Priester die heilige Ma'mudija (heilige Taufe) zu erbitten. Komm, laß uns zum zweitenmal schlafen gehen! Man wird uns nicht wieder stören wie beim erstenmal, denn dieser Ssali Ben Aqil kehrt nicht zurück; er hat erfahren, daß es leichter ist, uns freundlich zum Essen einzuladen, als die Gesetze der Blutrache an uns auszuführen. Wenn er einst dem Engel des Todes so leicht entkommt, wie er unserer Vergeltung entgangen ist, wird er den siebenten Himmel Mohammeds erreichen.“
    Wir warfen noch einige Griffe Holz in das Feuer und legten uns dann wieder nieder, ohne daß ein Mensch im Haus erfahren hatte, wie nahe wir dem Tod gewesen waren. Es ist kaum glaublich, mit welchem Gleichmut man, wie wir, aus einem Erlebnis in das andere reitend, Ereignisse hinnimmt, welche an anderen Orten und bei anderen Menschen das größte Aufsehen erregen und die ganze Bevölkerung in Alarm setzen würden. Aber grad dieser Gleichmut ist es, auf den dabei so viel ankommt und mit dessen Hilfe es gelingt, Gefahren zu überwinden, denen man ohne ihn erliegen würde.
    Als Halef annahm, daß wir nun nicht wieder gestört würden, hatte er sich geirrt, denn wir mochten noch nicht zwei Stunden geschlafen haben, als uns ein Lärm erweckte, welcher sich draußen erhoben hatte. Es war ein vielstimmiges Schreien und Brüllen, aus welchem wir zuweilen den Ruf „ia harik, ia harik! (O Feuersbrunst, o Feuersbrunst!)“ heraushörten. Es brannte also irgendwo im Ort, und sowenig uns das eigentlich anging, wir sprangen doch auf und rannten hinaus, um unsere Hilfe anzubieten, wenn sie nötig war.
    Wir sahen, daß es sich um einen bedeutenden Brand handelte, und eilten der betreffenden Gegend zu. Denkt man sich eine Feuersbrunst des Nachts in einem kleinen abgelegenen Städtchen Deutschlands, und zwar zur Zeit, als es noch keine Feuerwehren gab, so hat man einen ganz, ganz kleinen Begriff von dem großen Wirrwarr, in den wir mit hineingerissen wurden, und von den Szenen, die wir vor und um uns sahen. Es brannte am entgegengesetzten Ende des Ortes; dorthin rannte und strömte alles, oder vielmehr: man wurde gerannt und geströmt. Wir steckten nach kurzer Zeit in einem dichten Knäuel von Menschen, aus dem es absolut kein Entkommen gab. Dieser Knäuel wogte bald nach rechts, bald nach links, bald vor- und oft auch wieder rückwärts. Jeder, der einen Mund hatte, schrie so laut, wie er nur schreien konnte; aber was da brannte, wo es brannte und bei wem es brannte, das schien niemand zu wissen; wir konnten es nicht erfahren. Wir waren ‚eingekeilt in fürchterlicher Enge‘, hatten keinen Willen, konnten uns nicht selbständig bewegen und mußten uns die größte Mühe geben, nur beisammenzubleiben.
    In diesem Gedränge dachte ich an unsere Pferde, die wir im Eifer, uns hilfsbereit zu zeigen, ohne Schutz und Aufsicht im Khan gelassen hatten. Wie nun, wenn ihnen etwas geschah! Man hatte meinen Rih gesehen und bewundert, und hier in dieser

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