29 - Im Lande des Mahdi III
nicht das erste Mal, daß du dich in Gottes Fügung irrst. Du bist ein Kurde?“
„Ja.“
„Vom Stamm der Bebbeh?“
„Ja.“
„Der Scheik Gasahl Gaboya war ein Verwandter von dir?“
„Er war der Bruder meiner Mutter.“
„Ich begreife! Du erfuhrst hier, wer wir sind, und die Blutrache zwang dich, das Leben von uns zu fordern.“
„Ja, sie zwang mich, so wie sie jetzt dich zwingt, mir das Leben zu nehmen.“
„Ich bin ein Christ und kenne die Blutrache nicht!“
„Vielleicht die Blutrache nicht, aber doch die Rache!“
„Auch diese nicht. Gott ist der Vergelter.“
Da veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes; er sah mich ganz erstaunt an und fragte: „Dürfen die Christen einander ungestraft nach dem Leben trachten?“
„Nein. Ein Mensch, welcher dem andern nach dem Leben trachtet, ist überhaupt kein Christ, wenn er sich auch als einen solchen bezeichnet. Unser ‚Kitab el mukaddas‘ – das befiehlt uns: ‚Du sollst nicht töten!‘ und ein wirklicher, wahrer Christ hält sich streng nach diesem Befehl. Wer aber Menschenblut vergießt, wird durch die Obrigkeit bestraft, welche von Gott dazu eingesetzt worden ist.“
Ein Hoffnungsstrahl blitzte über sein Gesicht, als er schnell fragte: „So werdet ihr mich der Obrigkeit ausliefern?“
„Nein.“
Seine Züge wurden sofort wieder finster, und enttäuscht klangen seine Worte:
„Also werdet ihr doch selbst richten! Du hast mein Messer aufgehoben; ich sehe es in deinem Gürtel. Nimm es und stoß zu!“
Ich schüttelte den Kopf und entgegnete: „Du hast mich nicht verstanden. Die Rache ist mir verboten; dafür aber gebietet mir der christliche Glaube, meinen Feind zu lieben, wie mich selbst. Ich töte dich nicht und liefere dich auch nicht der Obrigkeit aus.“
Da glitt ein Ausdruck über seine Züge, der sich nicht beschreiben läßt. Erstaunen, Hoffnung, Zweifel, Verwunderung, Befürchtung, das alles sprach sich darin aus, bis der Haß wieder die Oberhand bekam und der Gefangene zornig herausstieß:
„Du spottest meiner! Ja, man sagt, daß es euch befohlen sei, sogar euren Feinden Gutes zu erweisen; aber welchem Menschen wäre es möglich, dies zu tun! Es ist eine Lüge, daß euer heiliges Buch dies von euch fordert, und euer Christus wäre ein Ssanam el heiwana (Götze der Dummheit), wenn er von euch etwas verlangte, was kein Mensch zu erfüllen vermag!“
„Du sprichst als Moslem, der nicht die Liebe kennt; wir Christen aber kennen und üben sie. Du hast mein Leben gewollt, es aber nicht bekommen; dafür schenke ich dir das deinige.“
Indem ich dies sagte, nahm ich sein Messer, zerschnitt damit die Fesseln, hielt es ihm dann hin und fügte hinzu: „Diese Klinge durfte mich nicht treffen; also gebe ich sie dir zurück. Nimm sie hin!“
Da sprang er empor. Seine Augen öffneten sich weit; sein Mund – ich möchte beinahe sagen, er sperrte ihn auf, und seine beiden Hände zuckten vorwärts, ohne aber das Messer zu ergreifen.
„Allah ja'lam el geb – Gott kennt das Verborgene; ich aber weiß nicht, was ich denken soll!“ rief er aus. „Ist das immer noch Spott, oder ist es Ernst?“
„Es ist Ernst.“
„Schwöre mir das bei Allah zu!“
„Christus verbietet uns zu schwören. Ein Christ spricht nur die Wahrheit; da bedarf es keines Schwures.“
„So schenkt ihr mir das Leben?“
„Ja.“
„Wirklich das Leben?“
„Wirklich!“
„Aber wenn ich nun in meiner Rache fortfahre?“
„So wird Gott uns behüten, wie er uns vorhin behütet hat. Du sagtest dort am Tisch, weder Gott noch ich selbst werde mir helfen können; jetzt siehst du, daß er mir geholfen hat; auf ihn verlaß ich mich auch fernerhin. Du bist frei und kannst mit deiner Rache machen, was du willst!“
Da riß er das Messer aus meiner Hand, trat einige Schritte zurück, sah bald mich, bald Halef mit ungewissen Blicken an und sagte dann, halb spöttisch, halb gerührt: „Ich danke dir, Effendi, ich danke dir! Wenn das, was du jetzt gesprochen und getan hast, wirklich aus deinem Herzen kam, so bist du entweder plötzlich verrückt geworden, oder das Christentum ist doch besser, viel besser, als ich gedacht habe. Da ich aber ein vorsichtiger Mann bin und weder dir noch deinem Glauben traue, werde ich mich jetzt schnell entfernen und nicht so lange warten, bis dir der verlorengegangene Verstand zurückgekehrt ist. Sollte er aber nicht zurückkehren, so vermehre Allah euer Wohlsein um soviel, wie ihr an Verstand verloren habt!“
Er
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