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290 - In den Gärten von Sha'mar

290 - In den Gärten von Sha'mar

Titel: 290 - In den Gärten von Sha'mar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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Würmer würden zurückkehren und bereits erobertes Terrain neuerlich besetzen. Jedes Mal ein Stückchen mehr.
    Zaraa erahnte mehr als zwanzig Erdhaufen, und die Wilde Frau befand sich ganz hinten. Sie ging vorsichtig weiter. Eine jener Frauen, die noch halbwegs bei Sinnen war, kam zu sich. »Hilf mir«, forderte sie mit gebrochener Stimme, »hilf mir beim Sterben!«
    Zaraa achtete nicht auf das bemitleidenswerte Geschöpf. Sie umrundete ein weiteres Opfer, dessen Schädel nahezu blankgefressen war - und das dennoch Leben in sich trug. Der Mund bewegte sich; oder täuschte sie sich? War dies eine Zunge oder eine Made, die zwischen den offenen Kiefern hervorlugte?
    Dann erkannte sie die Wilde Frau. Ihre schattenhaften Umrisse, ihr ungebändigtes Haar, die Narben und die Zeichnungen in ihrem Gesicht. Sie war stehend begraben worden, mit weit ausgestreckten Armen. Nur die Hände ragten aus dem Erdreich, zu weit weg vom Gesicht, um es vor den kleinen Bewohnern dieses Verlieses zu schützen. Der Boden war festgetreten worden. Ohne Hilfe würde sie sich niemals aus ihrer grässlichen Lage befreien können.
    Zaraa trat näher, wischte der Wilden Frau mehrere Würmer von den Wangen und pflückte einen dick gefressenen Blutsauger von ihrem Hals.
    »Hol mich hier raus!«, forderte die Wilde Frau. Eine unnatürliche Ruhe lag in ihrer Stimme. »Hol mich raus, damit ich dieses Loch ein für alle Mal von den stinkenden Buz-Trägern säubere.«
    »Du bist so stark…«, flüsterte Zaraa fasziniert.
    »Bist du gekommen, um mir das zu sagen?« Die Wilde Frau blies eine Haarsträhne aus ihrem verschwitzten Gesicht. Eine kleine giftgrüne Spinne seilte sich ab und begann rings um ihre Nase ein Netz zu weben.
    »Ich darf dir nicht helfen«, sagte Zaraa. »Es ist mir verboten, und ich kann dieses Tabu nicht brechen.« Es fiel ihr schwer, diese Worte auszusprechen. Der Bann, den ihnen der Gott in den Kopf gebrannt hatte, ließ sich nicht so ohne Weiteres zerstören. »Glaubst du denn wirklich, dass du uns von Oguul befreien könntest?«
    »Und ob.« Die Wilde Frau spuckte aus und traf die Spinne punktgenau. Das Krabbeltier verfing sich in der Feuchtigkeit und machte sich davon, sobald es wieder Boden unter den acht Füßen hatte. »Besorge mir eine Waffe, mein Schwert, und jeder, der sich mir in den Weg stellt, wird für seine Untaten büßen.«
    »Ich darf dir nicht helfen«, wiederholte Zaraa traurig.
    »Was willst du dann hier?«, schrie die Wilde Frau. »Dich an meinem Leid ergötzen, mich verspotten, mir meine letzten Stunden noch weiter erschweren?«
    »Nein.« Zaraa griff ins Innere ihres Saris und brachte zum Vorschein, was sie bei sich trug. Ihr Herz schlug laut und rasch, Panik hatte sie erfasst. Sie erinnerte sich mit einem Mal jener Predigten, die Verfehlungen an Oguuls Willen zum Inhalt gehabt hatten. Sie tat das Richtige, gewiss, doch es würde diesem schrecklichen Gott schaden, und seine Rache würde kommen…
    »Ich darf dir nicht helfen, Wilde Frau«, wiederholte Zaraa zum dritten Mal. »Wenn du freikommen willst, musst du es aus eigenem Antrieb schaffen.« Sie bückte sich rasch, tastete nach der Linken der Wilden Frau und drückte ihr einen rostigen Metallsplitter in die Hand, der sich sowohl als Waffe, als auch als Grabwerkzeug nutzen ließ.
    »Ich helfe dir nicht, Wilde Frau«, singsangte Zaraa, »du musst dir selbst helfen. Du bekommst keine Schaufel und keine Waffe, bloß ein bedeutungsloses Stück Metall. Es ist nichts, bloß Unrat…« Sie sagte es mehr zu ihrer eigenen Beruhigung, als um der Wilden Frau irgendetwas klarmachen zu wollen.
    Die Sinne drohten ihr zu schwinden. Sie war eine Gefangene der Macht, die Gott Oguul auf sie ausübte, seitdem er mit ihr und den anderen Gefangenen gesprochen hatte. Nun tat sie etwas Unerhörtes.
    Doch sie tat es aus gutem Grund. Weil sie liebte, und weil sie nicht wollte, dass ihre Liebe unerfüllt blieb.
    »Wie heißt du, Mädchen?«, fragte die Wilde Frau, bevor Zaraa den Raum verlassen konnte, vorbei an all den anderen bemitleidenswerten Opfern Oguuls. Sie musste zurück ans Tageslicht, zurück an die frische Luft, bevor sie erstickte.
    »Ich bin Zaraa, Wilde Frau«, antwortete sie mit stockender Stimme.
    »Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, Zaraa, nennst du mich bei meinem richtigen Namen, und ich verschone dich. Nenne mich Aruula.«
    ***
    Rulfan setzte die Gefährten in ausreichender Entfernung zur Festung ab und brachte den Zeppelin dann wieder hoch in die Luft, um

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