293 - Running Men Blues
nimmst du ihn, hängst dir die gerollte Zündschnur um den Hals und kletterst an der Mauer hoch. Da vorn, wo die Sterne durch den Riss schimmern. Klar?«
»Klar!«
»Gut. Drück den Sprengstoff fest ins Gemäuer! Er fühlt sich an wie Brotteig, du kannst ihn formen. Bring den Sprengstoff an und roll die Schnur aus. Erst wenn das erledigt ist, steckst du ihr Ende tief in die Masse hinein und kommst von der Mauer runter. Ich erwarte dich unten.«
»Dort bringen Sie die zweite Ladung an?«
»Ja.« Black nickte, auch wenn Keeva ihn nicht sehen konnte. Er atmete einmal tief durch, dann sagte er: »Los geht's!«
Und schon war die Indianerin weg.
Es erstaunte Black immer wieder, wie lautlos sich das Mädchen bewegen konnte. Doch im Moment musste er sich auf andere Dinge konzentrieren.
Er nahm den Rucksack mit seinem gefährlichen Inhalt und schlich zur Mauer. Nighthawk hatte die Stelle ausgekundschaftet; hier war gestern erst ein neues Teilstück hochgezogen worden. Frisch Erbautes zu sprengen war viel destruktiver als wahllose Zerstörung, denn es führte den Beteiligten vor Augen, dass ihre Arbeit umsonst gewesen war.
Black taten die jungen Männer aus der Zivilbevölkerung leid, die sich nun einen weiteren Tag abrackern mussten. Doch nur so war es möglich, den Widerstand gegen Kroow zu schüren.
Black brachte seinen Sprengsatz an und rollte die Zündschnur aus. Dann wartete er auf Keeva.
Das Material, das er verwendete, war ein Plastiksprengstoff, ähnlich dem in grauer Vorzeit beim Militär so beliebten C4. Black hatte ihn von einem gewissen Max Gideon bekommen. Der ehemalige Techno arbeitete wie viele andere seiner Art bei Takeo Industries und hasste Kroow aus tiefstem Herzen. Seine Söhne Justin und Tyler waren dem Monster zum Opfer gefallen. Gideon tat, was er konnte, um die Running Men zu unterstützen.
Black spürte ein Kitzeln an seiner Nase. Etwas strich daran entlang, und für einen Moment wurde ihm heiß in der Kälte. Hatte man ihn entdeckt?
»Fertig«, wisperte Keeva. »Haben Sie die Lunte?«
Black verdrehte die Augen. Diese Schleichkatze bringt mich noch um! »Ja, ich hab sie!«, knurrte er und nahm die Zündschnur von seiner Nase. »Bleib dicht neben mir! Rühr dich nicht von der Stelle!«
Black legte beide Zündschnüre aus, holte ein uraltes Sturmfeuerzeug aus dem Rucksack und hängte sich Letzteren um. »Achtung jetzt! Wenn ich ›Los!‹ sage, rennst du mit mir weg. Und zwar so schnell du kannst! Okee?«
»Alles klar!«
Black zündete das Feuerzeug und senkte es hinab. Die Schnüre begannen zu zischen und Funken zu sprühen…
***
Mitte November, in Spooky Pines
Miki Takeo und Captain Roots arbeiteten unermüdlich daran, aus dem Schrott der zerstörten Flotte eine neue, flugtaugliche Maschine zu bauen. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit - unter erschwerten Bedingungen. Denn zu den schon bekannten Gefahren, die auf dem tückischen Gelände lauerten, hatte sich in der Zwischenzeit eine weitere gesellt.
Der Zeitwald starb in der Winterkälte. Der giftige Pollenflug versiegte, Lianen raschelten verdorrt im Wind. Das Nachtgetier wurde merklich weniger, und für die Golloks, diese unheimlichen, menschenähnlichen Aasfresser [4] , war der Tisch reich gedeckt. Doch selbst sie tauchten immer seltener auf.
Dafür kamen die Lupas.
Hunger trieb die großen Jäger ins Flachland herunter, denn oben in den Bergen lag schon Schnee und viele Beutetiere hatten sich für den Winter in ihre Höhlen verkrochen. Bisher waren mutierte Wölfe dem Zeitwald ausgewichen mit seiner Umzäunung und dem angriffslustigen Bewuchs. Doch der Zaun wurde nicht mehr gepflegt und die Flora starb.
Nachts verbarrikadierten sich Roots, Takeo und die Algonkin in dem ehemaligen Militärstützpunkt. Bravo Sechs lag am Hollow Creek, einem längst versiegten Bach, der aus den Appalachen herunterkam und die natürliche Grenze bildete zwischen Spooky Pines und der Außenwelt.
Tagsüber waren Takeo und Roots unermüdlich auf dem Gleiterfriedhof unterwegs. Der Anblick des Schlachtfeldes war auch Wochen nach der Katastrophe nur schwer zu ertragen; besonders der Captain hatte seine Probleme damit. Die Piloten hatten einer gerechten Sache gedient; jetzt lagen ihre Gebeine in der Wildnis verstreut wie entsorgter Müll.
Mehr als einmal musste Takeo seinen Gefährten suchen, der einfach fortging, wenn ihm alles zu viel wurde. Er fand ihn dann irgendwo abseits zwischen den Felsen. Weinend.
»Reden Sie mit mir, Percival!«, bat er
Weitere Kostenlose Bücher