2935 - Leichen lügen nicht
er besucht? Wo würde er hingehen, wenn er nach der Arbeit nicht gleich nach Hause kommt?«
Ihre Finger hatten unmerklich zu zittern begonnen. Sie spürte, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Vielleicht um ihre Nerven in den Griff zu bekommen, griff sie eine Orange aus der Obstschale und begann sie zu schälen.
»Thomas hat keine Freunde«, sagte sie leise. »Er ist schon immer ein Einzelgänger gewesen. Er hat nur die Kinder und mich.«
Ich warf meinem Partner einen resignierten Blick zu. Hier würden wir nichts erfahren, was uns weiterhalf.
Phil wandte sich an sie. »Sie haben Ihren Mann auf der Weihnachtsfeier des FBI begleitet?«
Ein glückliches Strahlen ging über ihr Gesicht. An diesen Abend schien sie gute Erinnerungen zu haben.
»Ja, warum fragen Sie?«
»Als Eintrittskarte diente ein kleiner Schlüsselanhänger in Form von Santa Claus. Erinnern Sie sich?«
Plötzlich rutschte das Messer ab und Lucy Gloome fügte sich einen leichten Schnitt im Finger zu. Sie drückte rasch ein Taschentuch auf die Wunde.
»Natürlich. Ich fand ihn sehr hübsch. Die Kinder wollten ihn unbedingt haben, also hat Thomas ihn ihnen überlassen. Hätte er das nicht tun sollen?«
»Kein Problem, war nur eine Routinefrage«, nickte Phil ihr zu. Genauso hatte Thomas Gloome es ihm auch erzählt.
»Ist das irgendwie wichtig?« Sie sah Phil unsicher an. Er schüttelte beruhigend den Kopf.
»Wahrscheinlich nicht.«
Wir erhoben uns, und die Dame des Hauses brachte uns zur Wohnungstür. Als wir an einem Bücherregal vorbeikamen, blieb mein Blick an einem gerahmten Foto hängen. Es war vielleicht zwei Jahre alt und zeigte Thomas und Lucy Gloome mit ihren Kindern. Im Hintergrund war eine Flussmündung zu sehen, neben ihnen stand ein braungebrannter Mann mit einer Angelrute, an der eine kapitale Goldmakrele baumelte.
»Donnerwetter«, entfuhr es mir beeindruckt. »Die Makrele wiegt doch sicher ihre zwölf Kilo.«
»Es waren fast fünfzehn«, lächelte Lucy Gloome. »Die Kinder hatten noch nie so einen großen Fisch gesehen. Von Haien, Walen und Delfinen natürlich abgesehen. Abends haben wir ein Lagerfeuer gemacht und sie gegrillt. Sie hat fantastisch geschmeckt.«
Ich nahm das Foto in die Hand und betrachtete es genauer. Irgendetwas daran weckte mein Interesse.
»Wo ist das Foto gemacht worden?«
»Das war vor zwei Jahren, in Mayport. Die Kinder hatten Sommerferien. Der Mann mit der Goldmakrele ist Monty, ein alter Angelfreund von Thomas. Die beiden haben sich damals in Memphis kennengelernt.«
Plötzlich machte es »Klick«.
Mayport lag in der Nähe von Jacksonville. Der Fluss im Hintergrund war der Saint Johns River. Vor zwei Jahren hatte Thomas Gloome im Field Office Jacksonville gearbeitet. Davor in Memphis. Dort hatte er seinen ›Angelfreund‹ kennengelernt.
Monty hieß mit vollem Namen Peter Montgomery Carson. Er war die rechte Hand von Jason Cumber, Joe Cumbers Bruder, der wegen schwerer Drogendelikte auf Rikers Island einsaß. Monty war beim Prozess gegen seinen Boss im Gerichtssaal gewesen.
Und plötzlich wusste ich auch wieder, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte.
***
»In den Sullivan Studios in Sunnyside Gardens. Wir saßen mit Sam Sullivan in seinem Büro, da kam er kurz rein, um irgendeinen Termin abzuklären. Ich wusste sofort, dass ich ihn kenne, aber ich kam einfach nicht drauf, woher.«
Wir rasten durch den abendlichen Verkehr Richtung Federal Plaza. Die Nacht würde lang werden. Vielleicht würden wir überhaupt nicht ins Bett kommen. Aber das spielte keine Rolle. Mit ein bisschen Glück konnten wir den Fall noch vor dem Frühstück lösen.
»Du hast ihn im Gerichtssaal gesehen«, mutmaßte Phil.
»Genau. Beim Prozess gegen Jason Cumber. Ich bin sicher, er ist auch jetzt noch sein Verbindungsmann nach draußen. Oder kannst du dir Jason Cumber vorstellen, wie er in seiner Zelle sitzt und die Hände in den Schoß legt?«
»Eher nicht. Denkst du, er hat auch bei dem Drogendeal mit den Mexikanern die Finger im Spiel?«
»Darauf würde ich meinen Kopf wetten.«
Nur mit einem waghalsigen Manöver konnte ich einem lachsroten Buick LaCrosse ausweichen, der die Ampel an der East 22nd Street bei Rot überfahren hatte.
»Und wie praktisch, wenn man dann einen Mann im Team hat, der in seiner Freizeit mit FBI-Agenten Goldmakrelen angelt.«
»Du meinst, Jason Cumber hat Monty bewusst auf Thomas Gloome angesetzt?«
»Worauf du dich verlassen kannst. Und zwar schon in Memphis. Irgendwie ist er
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