2939 - Die Rache der »Engel«
Blick schien eher nach innen als nach außen gerichtet zu sein. Rhodes wirkte ungepflegt und heruntergekommen. Man musste kein FBI-Agent oder Cop sein, um in ihm einen Drogensüchtigen zu erkennen.
Es fiel mir schwer, dieses Häufchen Elend als einen eiskalten Mörder anzusehen.
»Ich habe Mister Rhodes bereits über seine Rechte belehrt«, sagte die junge Polizistin zu mir. »Er verzichtet auf einen Rechtsbeistand.«
»Den brauche ich auch nicht«, meldete sich Larry Rhodes mit krächzender Stimme zu Wort, »Ich bin nämlich unschuldig. Ich weiß gar nicht, warum Sie mich gekrallt haben.«
Ich setzte mich neben Eileen McDuff und nahm somit am Tisch direkt gegenüber dem Verdächtigen Platz. Phil und Rodriguez ließen sich ebenfalls auf Stühle nieder, die an den Schmalseiten des Tisches standen.
»Sie haben unsere Namen mitbekommen, Rhodes?«
»Ja, Agent Cotton.«
»Gut, dann erzählen Sie uns doch einfach Ihre Version der Geschichte. Sie wissen, dass Sie unter Mordanklage stehen?«
»Ich bin aber unschuldig!«
Trotzig wie ein Kleinkind verschränkte Rhodes die Arme vor seiner schmalen Brust. Ich forderte ihn durch eine Handbewegung zum Weiterreden auf. Daraufhin schien er wirklich sein Gedächtnis zu durchforsten. Wenig später fand er die Sprache wieder.
»Neulich habe ich Crack geraucht, in der Bude von einem Kumpel. Und als ich wieder zu mir kam, war mein Rucksack weg.«
»Neulich – wann genau?«, hakte ich nach. Meine Frage war vermutlich sinnlos, denn Junkies verlieren oft das Zeitgefühl. Aber versuchen musste ich es trotzdem.
»Keine Ahnung, Agent Cotton. Irgendwie vor ein paar Tagen, okay? – Jedenfalls bekam ich Panik, denn in dem Rucksack waren meine Vorräte, also meine übrigen Drogen. Ich machte meinem Kumpel die Hölle heiß. Er erinnerte sich, dass ein Typ namens Frank ebenfalls bei ihm gepennt hatte. Der musste also meinen Rucksack gegriffen haben.«
»Frank Loomis?«
»Hieß er so mit Nachnamen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls wollte ich es ihm heimzahlen. Ich klaute mir eine Karre, und meinen Revolver hatte ich sowieso im Hosenbund stecken. Außerdem fand sich noch eine letzte Portion Crack in meiner Hosentasche, das Zeug machte mich wieder munter. Ich kurvte wie ein Irrer durch Brooklyn, um diesen Frank zu finden. Und dann sah ich ihn plötzlich …«
Larry Rhodes unterbrach sich selbst und schaute mich seltsam an. Gleich darauf fuhr er fort.
»Sie waren auch da, oder? Sie und Ihr Kollege – ah, jetzt kapiere ich! Sie hatten sich diesen Frank Loomis gekrallt, und ich habe Ihnen die Tour vermasselt. Ich verpasste ihm zwei Stücke heißes Blei, und dann habe ich die Biege gemacht. Und Sie haben mich nicht erwischt!«
Mit einer Art kläglichem Triumph schaute Rhodes Phil und mich an. Es stimmte, nach der Verhaftung von Frank Loomis und dem feigen Mord an ihm hatten wir die Verfolgung aufgenommen. Aber der Täter war absolut halsbrecherisch gefahren, und so hatte er uns abschütteln können. Wenn Rhodes den Mord im Crack-Rausch begangen hatte, erklärte sich dadurch natürlich seine selbstmörderische Fahrweise. Trotzdem warf sein Geständnis mehr Fragen auf, als dadurch beantwortet wurden.
»Sie haben doch vorhin noch gesagt, Sie seien unschuldig«, bemerkte Eileen McDuff. Man konnte ihrer Stimme ihre Fassungslosigkeit anhören.
»Das bin ich doch auch«, beharrte Rhodes. »Wenn Frank mir meine Drogen geklaut hat und ich ihn umniete, dann ist das doch Notwehr. Und Notwehr wird doch nicht bestraft, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. Hielt er seine feigen Schüsse aus dem Hinterhalt ernsthaft für Notwehr? Rhodes’ Gehirn hatte offensichtlich zu stark unter seinem Drogenkonsum gelitten. Konnte der Täter überhaupt zwischen Recht und Unrecht unterscheiden? Ob Rhodes überhaupt schuldfähig war, mussten die Psychiater entscheiden. Doch es war immerhin auch möglich, dass er in den Mord an Eddie Stack verwickelt war. Ich zeigte ihm zwei Fotos des Toten, eine alte erkennungsdienstliche Aufnahme und einen Schnappschuss von der Leiche in der Corvette.
»Haben Sie diesen Mann schon mal gesehen?«
»Ja, das ist Eddie Stack. Er dealt mit Croc, aber von dem Teufelszeug lasse ich die Finger. Ich kannte ihn nur flüchtig.«
Ob das stimmte? Doch beim Datenabgleich mit unseren NYPD-Kollegen stellte sich heraus, dass Rhodes zu Stacks Todeszeitpunkt schon in der Arrestzelle auf dem 75. Revier gesessen hatte. Die Cops hatten uns erst Stunden nach der Festnahme von der Verhaftung
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