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294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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gebüßt, Herr Vater. Bitte, seid gnädig. Will nie wieder bös sein. Nie wieder bös…
    Doch da war immer nur weiter Dunkelheit und Stille und die klamme Kälte, die er nicht anders kannte. Er versuchte sich in seine Traumwelt zu flüchten, zu der er schon von klein auf immer Zutritt gehabt hatte. Seltsame Gestalten und Pferde lebten dort.
    Pferde!
    Als kleines Kind hatte er seinen Tėvas zum ersten Mal von ihnen erzählen hören. Und wie er sie beschrieben hatte, war Jurgis nie mehr aus dem Kopf gegangen. Er hatte sogar begonnen, aus einem Stück Holz und mit einem stumpfen Messer ein Pferd zu schnitzen, wie er es sich vorstellte.
    Jurgis fand es gelungen. Und sein Tėvas war zu Tränen gerührt gewesen, als er es ihm hatte schenken wollen.
    »Behalt du es - es soll bei dir sein in den einsamen Stunden. Ich würde gern immer bei dir sein, aber ich kann nicht. Die Welt da oben verzeiht einem Menschen nichts. Du würdest dort nicht leben können. Du würdest verkümmern wie eine Blume ohne Wasser.«
    Ich bin eine Blume ohne Wasser. Jetzt bin ich eine.
    Warum?
    Herr Vater, warum lasst Ihr mich alleine?
    Die Verzweiflung ergriff immer mehr Besitz von Jurgis. Er krümmte sich in Krämpfen. Er sehnte sich nach Wasser, um seine trockenen Lippen zu benetzen. Die Schmerzen im Rücken wurden immer unerträglicher.
    Die Erkenntnis, dass sein Tėvas ihn gar nicht mehr wollte, war so entsetzlich, dass er sich lange dagegen verschloss. Doch die Wahrheit ließ sich nicht ewig ignorieren.
    Ich sterbe. Wollt Ihr das?
    Er war so traurig, dass sein Tėvas ihn verstoßen hatte. Aber er wusste, dass er es verdient hatte - warum auch immer.
    Geh jetzt schlafen. Mach meine Augen zu.
    Will nicht mehr leben. Nur noch schlafen.
    Will auch immer brav im Himmel bleiben.
    Weiß zwar nich, wo das ist, Himmel, aber werd's schon sehn. Ganz bestimmt.
    Schlafen…
    ***
    Jurgis kam zu sich. Es war ein qualvoller Akt - als würde er zeitlupenhaft langsam vom Grund eines finsteren Meeres zur Oberfläche emportreiben - die einfach nicht näherkommen wollte, obwohl seine Lungen wie in Feuer gebadet brannten.
    Schließlich, als er schon mit dem Leben abgeschlossen hatte, durchbrach er sie doch noch und rang nach Atem. Für lange Sekunden weigerte er sich, die Augen zu öffnen. Das Drängen einer ihm unbekannten Stimme und die immer nachdrücklicher verabreichten Ohrfeigen veranlassten ihn schließlich doch, die Lider zu heben.
    Zuerst war alles verschwommen: das fremde Gesicht, die dazugehörige Gestalt, weitere Personen im Hintergrund…
    Jurgis hatte gar nicht gewusst, dass es so viele Menschen gab. Er hatte ja immer nur mit dem einen zu tun gehabt.
    Mit meinem Tėvas.
    »… du mich? Kannst du mich hören?«, dröhnte die Stimme.
    Jurgis' Lippen bebten. Aus seiner Kehle löste sich ein Krächzen. Der Fremde winkte einen anderen heran und verlangte nach Wasser. Nachdem ihm ein Beutel gereicht worden war, führte er die Öffnung an Jurgis' Lippen, die sich regelrecht daran festsaugten. Jurgis trank, ohne abzusetzen und so gierig, dass ihm das kühle Nass über Kinn, Hals und Brust lief. Aber es blieb noch genug, um seinen schrecklichen Durst zu stillen.
    Als er fertig war und der leere Beutel achtlos in einer Ecke landete, fühlte er sich fast lebendig. So ganz immer noch nicht, aber war das ein Wunder? Er hatte die Augen geschlossen in der festen Annahme, sie nie wieder zu öffnen. Sterben hatte er wollen, endlich erlöst werden…
    Nun war alles anders gekommen.
    Aber verstehen konnte er es nicht.
    »Wudan sei Dank! Ich dachte schon, ich käme zu spät! Hätte ich nicht seine Aufzeichnungen gefunden…«
    Jurgis streckte die Hand aus. Er wollte das Gesicht, das über ihm hing, berühren, um sich davon zu überzeugen, dass es aus Fleisch und Blut war.
    Eine Hand umschloss die seine. Sie war fest und entschieden in ihrem Griff, und sie war warm und feingliedrig, sodass sich der Trost, den sie offenbar spenden wollte, sofort auf Jurgis übertrug.
    Er atmete sofort ruhiger.
    »Alles wird gut, mein Kind. Ich kenne dein Schicksal. Und ich werde nicht zulassen, dass diese unwissenden Heiden dir ein Leid zufügen, sei unbesorgt.«
    Zwar vernahm Jurgis die Worte, aber die Art, wie der freundliche Mann zu ihm redete, war so ganz anders als die seines Tėvas. Wie klug und gebildet musste man sein, um so sprechen zu können? Jurgis verging fast vor Ehrfurcht.
    »Ich lasse nicht zu, dass du stirbst!«, fuhr der Mann fort. »Du bist

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