2x Professor Manstein
Hörsaal!“
Manstein nickte.
„Ich komme gleich nach!“
Nachdem Giller die Tür hinter sich, geschlossen hatte, nahm Manstein noch einmal das Heft zur Hand, in dem er seine Vorlesung aufgezeichnet hatte.
Kurz bevor er in den Hörsaal ging, fiel sein Blick noch einmal auf die Tafel, auf der Giller vor kurzem gerechnet hatte. Im ersten Augenblick nahm er nur im Unterbewußtsein wahr, daß Giller, wo er links ein kleines c angesetzt hatte, auf der rechten Seite 2,5 • 10 8 m/sec ansetzte. Auf den wenigen Metern, die er bis zur Hörsaaltür zu gehen hatte, gelang es seinem Unterbewußtsein jedoch, diese Erkenntnis in die bewußte Sphäre seines Denkens vordringen zu lassen.
Manstein fuhr auf dem Absatz herum. Mit drei großen Schritten stand er wieder vor der Tafel. Murmelnd las er die Formeln nach, die Giller angeschrieben hatte.
Es bestand kein Zweifel – mit c hatte Giller, der üblichen Schreibweise der Physik folgend, die Lichtgeschwindigkeit bezeichnet. Für die Lichtgeschwindigkeit hatte er auf der anderen Seite, als er mit Zahlenwerten rechnete, 2,5 • 10 8 m/sec eingesetzt – ein Wert, der um nahezu 20 Prozent unter dem wahren Wert lag.
Giller hatte damit nichts anderes behauptet, als daß die Geschwindigkeit des Lichtes 250 000 km/sec anstatt 300 000 km/sec betrage.
Manstein schob die Hörsaaltür auf und suchte Giller. Er saß auf der vordersten Reihe. Manstein winkte ihm zu. Giller stand auf und kam rasch herbei. Der Professor führte ihn vor die Tafel.
Mittlerweile hatte er sich jedoch überlegt, daß es in seiner Lage besser sei, nicht mit dem stärksten Geschütz zu schießen. Wenn er bedachte, was in den letzten Tagen geschehen war, dann konnte er sehr wohl zu der Ansicht kommen, daß vielleicht nicht Giller, sondern vielmehr er selbst der falsch Informierte war. Er formulierte deswegen seine Frage sehr vorsichtig:
„Sagen Sie, Giller, dieses c ist doch die Lichtgeschwindigkeit – nicht wahr?“
Giller nickte.
„Selbstverständlich, Herr Professor!“
„Warum sind Sie dann in die Rechnung mit einem aufgerundeten Wert eingegangen und nicht mit dem genauen?“
Giller machte ein verblüfftes Gesicht.
„Meinen Sie, es würde eine wesentliche Änderung herbeiführen, wenn ich mit 2,498 anstelle von 2,5 rechne?“
Das war das, was Manstein hatte hören wollen. Giller hatte keinen Flüchtigkeitsfehler gemacht – er war davon überzeugt, daß die Lichtgeschwindigkeit 2,498 • 10 8 m/sec betrage.
Manstein lachte etwas unsicher.
„Ich fange an, ein alter Mann zu werden! Natürlich haben Sie recht, Giller.“
Giller wandte sich ab und ging mit einem Gesicht, das immer noch die Ratlosigkeit selbst war, zur Hörsaaltür. Manstein hielt ihn zurück.
„Giller …“, sagte er gedehnt, „würde es Ihnen etwas ausmachen, heute an meiner Stelle die Vorlesung zu halten?“
Gillers Gesicht hellte sich auf.
„Meinen Sie, Herr Professor, ich sei dazu in der Lage?“ fragte er mit einer Stimme, in der der Stolz zu wachsen begann.
Manstein nickte.
„Natürlich, Giller! Nehmen Sie es mir nicht übel – aber ich bin wohl wirklich heute nicht in der Lage dazu! Hier haben Sie mein Manuskript, Sie kennen es ja! Machen Sie Ihre Sache gut!“
Giller nickte eifrig, nahm das Heft und verschwand.
Manstein klingelte dem Hausmeister. Mit Hausmeister Meier verband ihn seit langen Jahren eine seltsame Art von Freundschaft und Kollegialität. Wenn Meier auch durchaus geneigt war, in allen Fragen der Physik Professor Manstein den Vorrang zu lassen, so war er doch andererseits fest davon überzeugt, daß ein Professor ein völlig lebensfremder Mensch sein müsse und daß jeder, der mit ihm zu tun habe, quasi vom lieben Gott dazu beauftragt sei, diesem unbeholfenen Menschen durch das Leben zu helfen.
Meier erschien mit der gewohnten Eilfertigkeit nach wenigen Sekunden.
„Haben Sie Zeit, Meier?“
„Für Sie immer, Herr Professor!“
Manstein griff in seine Tasche und zog einen Geldschein hervor.
„Besorgen Sie eine Flasche Cognac, Meier!“
Meier war gewöhnt, von seinem Professor die seltsamsten Wünsche entgegenzunehmen. Er nahm den Geldschein und zog sich zurück – nicht ohne die Versicherung, daß er so schnell wie möglich zurück sein werde.
In der Zwischenzeit fertigte Manstein eine Zusammenstellung der Dinge an, die er für den Versuch brauchte, den er anstellen wollte.
Meier erschien nach wenigen Minuten mit einer Flasche Cognac, Manstein besah das Etikett und nickte
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