3 Die Rinucci Brüder: Unter der goldenen Sonne Roms
handelte es sich um ein fünfgeschossiges Haus mit einem großen Innenhof. Als er die Korrespondenz mit Signora Minerva Pepino durchlas, die eine harte, strenge Frau zu sein schien, schwante ihm nichts Gutes.
Sich mit einem Mann auseinanderzusetzen war für ihn kein Problem. Darin hatte er Übung, er kannte die Spielregeln. Bei einer Frau musste er subtiler vorgehen. Doch Subtilität war seine Sache nicht. Sie hatte schriftlich angefragt, wann er nach Rom kommen und die notwendigen
Renovierungsarbeiten in Auftrag geben würde. Angeblich waren die Bedingungen, unter denen ihre Mandanten leben mussten, nicht länger hinnehmbar. Luke hatte ihr versichert, er würde kommen, sobald es seine Terminplanung zuließ, und angedeutet, dass er ihre Schilderung der Zustände für übertrieben hielt.
Doch sie hatte ihm prompt eine detaillierte Mängelliste mit einer Kostenaufstellung zugeschickt, deren Höhe er bezweifelte. Wahrscheinlich waren die Handwerker, von denen sie sich Angebote hatte unterbreiten lassen, Freunde und Verwandte von ihr und hatten ihr eine Provision
versprochen. Luke ärgerte sich darüber, dass die Frau offenbar glaubte, sie könnte ihn übers Ohr hauen. Noch einmal hatte er versprochen, sich persönlich um die Sache zu kümmern, sobald er geschäftlich in Rom sein würde.
Sogar den Namen dieser Frau, die er auf Mitte fünfzig schätzte, fand er beunruhigend. Minerva war die Göttin der Weisheit und wegen ihres scharfen Verstandes berühmt gewesen. Auch das verhieß nichts Gutes.
Natürlich wollte er sich so verhalten, wie man es von einem verantwortungsbewussten Vermieter erwartete. Andererseits war er nicht bereit, sich von dieser Frau Vorschriften machen zu lassen. Schließlich legte er den Ordner wieder weg. Plötzlich fand er die Stille um sich her unerträglich, und der Luxus, der ihn umgab, schien ihn zu erdrücken. Kurz entschlossen nahm er das Bargeld aus dem Portemonnaie und steckte das Geld zusammen mit der Plastikkarte zum Öffnen der Tür seiner Suite in die Hosentasche. Dann legte er das Portemonnaie in den Safe, verließ die Suite und eilte aus dem Hotel. Da es an diesem Abend noch sehr warm war, verzichtete er auf das Jackett. Er winkte ein Taxi herbei und ließ sich über die Via del Corso, die lebhafteste Einkaufsstraße der Stadt, fahren und weiter über die Ponte Garibaldi, eine der Brücken, die den Tiber überquerten, bis nach Trastevere. Dieser Stadtteil mit den vielen Restaurants, Cafés, Clubs und Bars war einer der ältesten und schillerndsten.
„Setzen Sie mich bitte hier ab“, forderte Luke den Fahrer auf. In den hell erleuchteten Straßen wurde gesungen und gelacht, und Essensgerüche erfüllten die Luft.
Er betrat die erstbeste Bar und wurde rasch in Gespräche verwickelt. Danach ging er in eine andere Bar und entspannte sich bei einem Glas Wein, der ihm so gut schmeckte wie kein anderer zuvor. Nach drei weiteren Barbesuchen kam er zu dem Schluss, dass diese Art zu leben besser war als jede andere.
Später stand er auf der Straße und betrachtete den Vollmond. Als er sich umsah, musste er sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, wo er sich befand.
„Suchen Sie etwas?“, fragte plötzlich jemand hinter ihm.
Luke drehte sich um und entdeckte den jungen Mann, der allein an einem der Tische draußen vor der Bar saß. Er war höchstens Anfang zwanzig, wirkte sehr lebhaft und hatte strahlende dunkle Augen. „Hallo.“ Der junge Mann hob sein Glas.
„Hallo.“ Luke setzte sich neben ihn. „Ich habe gerade gemerkt, dass ich mich verlaufen habe.“ „Sie sind nicht von hier?“
„Nein.“
„Ach, bleiben Sie ruhig hier sitzen. Es macht Spaß, die Menschen zu beobachten.“
Luke bestellte etwas zu trinken, und nachdem der Kellner eine Flasche Wein und zwei Gläser gebracht hatte, bezahlte er sogleich.
„Wahrscheinlich war das ein Fehler.“ Luke hatte auf einmal ein schlechtes Gewissen. „Ich glaube, Sie haben schon genug getrunken.“
„Von gutem Wein kann man nie genug bekommen. Selbst dann, wenn ich zu viel getrunken habe, ist es immer noch nicht genug“, antwortete der junge Mann und füllte die beiden Gläser.
Luke probierte den Wein, er schmeckte wirklich gut. „Ich bin Luke“, stellte er sich vor.
„Ich bin Charlie. Darf ich Sie Lucio nennen? Wir können uns duzen, oder?“
„Sicher, kein Problem.“ Luke runzelte die Stirn. Ein Italiener namens Charlie? „Du heißt Carlo, oder?“ „Nein, Charlie. Es ist die Abkürzung von Charlemagne,
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