3. Reich Lebensborn E.V.rtf
... meine Kompanie hat davon schon ganze Fässer ausgesoffen ...«
»Ich mag das nicht«, erwidert Lotte.
»Den Wodka?«
»Daß du so trinkst ...«
»Probier’s mal«, entgegnet der Hauptsturmführer. »Ach ...«
setzt er hinzu, »weeß schon ... das dämliche Licht ...« Er geht an das Waschbecken, nimmt das Handtuch und legt es über den grünen Lampenschirm.
»So ...«, sagt er grinsend, »und jetzt jute Nacht.«
»Ich versteh’ dich nicht«, versetzte Lotte. Sie spürt die Gänsehaut auf ihren Armen und ist auf einmal grenzenlos enttäuscht und ernüchtert.
»Wat vastehste nich?«
»Wir sind doch hier ... zu einem ... ernsten Zweck ...«
»Sicher ... aber der Ernst kann doch auch jemütlich sein, nich?«
»Wir tun hier, was das Volk von uns erwartet ...«
»Knorke«, erwidert der SS-Offizier feixend. Dann spült er das zweite Glas hinunter.
Lotte geht mit den schleppenden Schritten eines gefangenen Tieres auf die andere Seite. Sie steht unter dem Hitler-Bild, streift es einen Moment mit den Augen, als ob der Führer sie schützen könnte.
»Det is unsa Adolf ...«, sagt Kempe, »kenn’ wa ...«
Er füllt das nächste Glas, hebt es:
»Prost, Alter!«
Dann dreht er sich nach Lotte um.
»Haste schon mal den Führer erlebt?«
»Nein«, erwidert das verwirrte Mädchen.
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»Aber ick ... ick hab’ ihm schon die Hand jedrückt ...« Er nickt sich ernst und stolz zu. Sein Nationalsozialismus ist mehr praktischer Art. Er ist jederzeit bereit, die Feinde der Bewegung totzuschlagen, aber die braune Theorie zu glauben –
nein, das kann kein Mensch von ihm verlangen.
»Seid ihr alle so?« fragt Lotte.
»Wie?«
»So ... so respektlos ... und betrunken ... und ...«, Lotte sucht nach dem Wort, findet es: »verantwortungslos ...«
»Hör zu, Mädchen ... wir kämpfen, wir sterben, und wir lassen sterben ... und alles für den Führer ... so ... und jetzt biste dran ...«
Kempe verschüttet das Glas, betrachtet trübsinnig den verlorenen Wodka, schenkt sich nach, beobachtet die noch immer unter dem Hitler-Bild stehende RAD-Führerin, die nie echter war als jetzt in ihrer Hilflosigkeit.
»Weiß schon«, knurrte er, »der Führer raucht nicht, trinkt nicht, schläft nicht, fällt nicht ...«
Das Mädchen schüttelt sich unter seinen Worten wie unter einem Regenguß.
»Und vegetarisch lebt er ooch noch ... So, Lotte, und jetzt lassen wa die Faxen, und jetzt zwitscherste mal einen ...«
»Geh«, sagt sie lauter, als sie will, »geh sofort weg ... mit dir
... mit euch ... will ich nichts zu tun haben ... ihr seid wie ...«
»Hör mal, Kleene ... langsam wer’ ick ärgerlich ... det kann ick dir varaten.«
»Ich rufe den Heimleiter.«
»Quatsch«, sagt er. Dann geht er auf Lotte zu, legt die Arme um sie, preßt sie an sich, ohne Überzeugung eigentlich, nur auf Befehl.
Kempe spürt ihren Widerstand. Er liest den Ekel aus ihrem Gesicht. Da läßt er sie los. Geht wieder an seine Aktentasche, 63
korkt die fast leere Wodkaflasche zu, nimmt das Handtuch von der Lampe, sieht im kräftigen Lichtstrahl das weinende Mädchen, nickt.
»Weeßte wat«, sagt er jetzt doch ärgerlich, »rutsch mir den Buckel runter, du dämliche RAD-Zicke!«
Er knallt die Tür zu, schüttelt sich und geht wieder nach unten, schon versöhnt und bereit, nach der nächsten zu greifen
...
Am nächsten Tag, Punkt zehn Uhr, beginnt die Schulung. Der Speiseraum wird zum Lehrsaal. Die Tische stehen an der Wand, die Stühle in Marschkolonne. Vorne, an der Schmalseite des Raums, hat der Sturmbannführer Westroff-Meyer Kartenbilder entrollt und aufgehängt, auf die er mit dem Zeigestock deutet wie in der Schule. Seine Stimme klingt ölig. Er agiert, als hätte er sein Leben lang davon geträumt, Zuhörer zu finden. Jetzt hat er es geschafft. Nach einem erfolglosen Versuch in Juristerei und Medizin sattelt er auf ein anderes Pferd um. Auf das Paradepferd der Bewegung. Auf die Rassenhygiene.
Die Kartenbilder sind mit Blumen, mit Erbsen und Kastanien bemalt. Wirre Linien zeigen auf, wie man sie kreuzte. Aus roten Blüten werden weiße, aus runden Erbsen kantige, aus stacheligen Kastanienschalen glatte. Mit seiner Auffassung von Biologie beginnt der Heimleiter von der Pike auf ...
»Diese botanischen Erkenntnisse können wir ohne weiteres auf den Menschen übertragen«, ruft der Heimleiter seinen Schülern zu, die weder Erbsen noch Kastanien, sondern Menschen sind, die gleichgültig vor sich hinstarren, zum Fenster hinausschauen,
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