3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Er hofft und fürchtet es gleichzeitig ... Klaus sehnt sich nach seinem Feldflughafen. Er denkt an seinen Kommodore mit dem Kinn aus Nußbaumholz. Er sieht ihn breit und bullig aus der Me klettern und an seiner Zigarre kauen. Was würde er an meiner Stelle tun? Wie könnte sich Oberstleutnant Berendsen hier zurechtfinden, der alles auf der Welt, außer seinem Steuerknüppel und seinem Schnapsglas, mit spitzen Fingern anfaßt?
»Sie sind aber schweigsam, junger Mann«, sagt Erika.
»Ja«, erwidert Klaus verworren.
»Das ist aber mal ’ne Antwort!«
»Sie sind eine Freundin von ... Doris?«
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»Sie kennen Doris?« fragt die Jungführerin schnell zurück.
»Ja«, entgegnete er, »ich habe ... ich meine ... wir waren ...«
»Was waren Sie?«
»So etwas wie verlobt ...«
»Heiliger Strohsack! Also darum!« sagt Erika erschrocken. Dann sieht sie den Oberleutnant voll an, lächelt und fragt:
»Und?«
Er zuckt die Schultern.
»Das Reden haben Sie nicht erfunden ...«
Erika wendet sich wieder ihrem linken Nachbarn zu. Nach dem Dessert sagt sie zu Klaus:
»Sie sehen so konsequent an mir vorbei, daß ich denke, ich bin gar keine Frau.«
»Sie sind ... seid Ihr denn welche?«
»Was soll das heißen?«
»Na, wenn man sich hierher meldet.«
»Wir haben uns nicht hierher gemeldet, verstehen Sie! Und wenn wir uns hierher gemeldet hätten, dann wär’s auch alles ... Wenn Sie mich fragen ... ich bin immer noch lieber hier, als daß ich Böden schrubbe, Rüben hacke und Erbsen putze.«
»Und ... hinterher?«
»Hinterher?« antwortet Erika verächtlich. »Mensch, hinterher! ... Ja meinen Sie denn, ich laß mich hier mit so einem Knilch ein? ... Ja glauben Sie denn ...« Sie deutete auf Westroff-Meyer. »Eher freß’ ich noch seine stacheligen Kastanien!«
»Guten Appetit«, versetzt Klaus heftig.
»Nee«, ergänzt Erika, »so nicht ... so geht’s bei mir überhaupt nicht ... und wenn der Reichs-Heini persönlich käme.«
»Und ... die anderen?«
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»Was gehen mich die anderen an!« entgegnet Erika gereizt.
»Ich hab’ nur für mich zu sorgen ... Und wenn Sie Doris meinen ... dann sage ich Ihnen: zweimal nicht! ... Verstehen Sie?«
Klaus nickt verwirrt.
»Sie haben Krach mit ihr gehabt?«
»Ja.«
»Sie haben sie weggetrieben ... Sie sind also schuld, daß sie
...«
»Ja«, sagt Klaus leise.
»Dann sorgen Sie auch gefälligst, daß Doris aus diesem Schlamassel wieder herauskommt!«
»Wie ... seid Ihr denn ... hierher ...?« fragt der Oberleutnant.
»Ganz einfach«, antwortet Erika, »zuerst hieß es: vortreten, wer dem Führer ein Opfer bringen will. Da haben wir uns gemeldet. Und dann wurden wir ausgesucht ... Und dann haben wir überhaupt erst erfahren, um was es geht.« Erika lacht schnell und spöttisch. »Aber das dürfen Sie mir glauben ... bei so was ... da hört sich bei mir der Nationalsozialismus auf!«
Klaus zuckt zusammen. Er, der sonst die Faust ballt, wenn man etwas gegen die Bewegung sagt, wird auf einmal von der Lästerrede des jungen Mädchens gestreichelt. Er sieht sich in der Runde um. Die allgemeine Befangenheit hat sich wieder um ein Stück verringert. Zur Linken und Rechten des Sturmbannführers sitzen, wohl als besondere Auszeichnung des Heimleiters, die ersten Paare. Vor dem Essen kam es zu einer Eifersuchtsszene zwischen zwei SS-Unterführern. Sie galt der zerwühlten Hannelore, die am Frühstückstisch stolz und geschmacklos erzählte. Die einen grinsten dämlich, den anderen wurde es übel. Sie sollten in den nächsten Wochen noch oft erleben, wie die Weltanschauung zum Kaffeeklatsch und der Kaffeeklatsch zur Weltanschauung wurde ... 72
Und dazwischen springen die ersten Flirts von Platz zu Platz, kreiseln Sympathie und Abneigung um den großen Tisch, Enttäuschung und Hoffnung, Wunsch und Verzicht. Und die Gesellschaft der nach Tabellen ausgewählten und vom Zufall zusammengestellten 50 Menschen rollt wie ein Reiseomnibus in das Verhängnis.
Erika hat ja recht, überlegt Klaus Steinbach. Natürlich ... Aber das hier, das sind Auswüchse, ohne die es eine große Weltanschauung nicht gibt. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, denkt er.
»Eins kann ich Ihnen noch sagen«, platzt Erika in seine Gedanken, »wissen Sie, was Sie sind, Herr Oberleutnant?«
Sie trinkt ihren Apfelsaft aus, leckt sich mit der Zunge die Lippen und ergänzt ungeniert:
»Ein Esel!«
In diesem Moment betritt Doris wieder das Haus, aus dem sie flüchten wollte. Mit dem zögernden Schritt
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