3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Fragen haben ihn in der Zange, zwischen den Mahlsteinen, in der Presse, unter dem Hammer. Sie treiben ihm das Blut aus dem Gesicht und den Schweiß in die Poren. Der Oberleutnant wirft sich den Mantel über die Schulter 127
und geht aus dem Haus. Er faßt verwegene Pläne und verwirft sie wieder. Er merkt nicht, daß er den gleichen Weg geht, auf dem Doris aus dem Heim floh. Die Straße der Kleinstadt entgegen. Aber Klaus will nicht fliehen. Er will kämpfen. Er will nicht desertieren. Aber er muß Verstärkung herholen. Er erreicht die Kleinstadt. Auf einmal hat er Durst. Er betritt eine Gaststätte. Hier kann ihm kein Angehöriger des Lebensborn-Heims begegnen. Kneipen sind verboten. Bläulicher Tabaksqualm schlägt ihm ins Gesicht. Es riecht nach Eigenbau und Dünnbier.
An der Theke lehnt Hauptsturmführer Kempe und feixt. Klaus will sich wieder hinausdrücken, aber er kann es nicht mehr. Der Mann macht eine Bewegung mit dem Zeigefinger, die keinen Widerspruch duldet.
»So, so ...«, grinst Kempe mit einer Anspielung auf die schwarze Krawatte der Luftwaffe, »Schlipssoldat auf Abwegen.«
Klaus lächelt matt.
Der SS-Offizier winkt das schwarzhaarige Mädchen hinter der Theke heran.
»Zwei Doppelte«, befiehlt er, »... du kannst dich als eingeladen betrachten.«
»Keinen Appetit.«
»Die Lust kommt mit dem Saufen.«
Kempe holt zu einer großartigen Geste aus.
»Det is mein Stammlokal«, sagt er, »stimmt’s oder stimmt’s nicht, Marjellchen?«
Das Mädchen hinter der Theke nickt lebhaft.
»Siehste«, kommentiert Kempe, »det is alles unverbraucht. Noch natürlich, und ohne künstliche Erbsen ... vastehste ... und Tote jibt’s hier ooch nich.« Er hebt sein Glas in die Höhe.
»Noch ’n Doppelten!«
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Klaus betrachtet den SS-Offizier zum erstenmal richtig. Kempe sieht mit glasigem Grinsen an dem Oberleutnant vorbei, stützt sich schwer auf seinen Ellbogen. Klaus möchte den Mann widerwärtig finden, aber seine Augen verweigern ihm den Gefallen.
Der Hauptsturmführer bestellt, und Klaus trinkt. Schweigend. Einen nach dem anderen. Einmal versucht Kempe, dem Mädchen die Schleife der weißen Schürze aufzuziehen. Aber er wirft nur ein Glas um.
»So is det nu«, murmelt er, »voll der juten Absichten, und nischt wie Scherben ...«
Klaus verschluckt sich. Der billige Schnaps brennt im Mund und die Gedanken an Doris im Kopf. Und dann gärt der Alkohol, macht Träume lebendig und das Leben zum Traum. Der Oberleutnant starrt in das gerötete Gesicht des SSOffiziers. Dann betrachtet er dessen kräftige, harte Hände. Pranken, die ebensogut eine Pistole umschließen können wie sie nach den Schürzenzipfeln des Mädchens griffen. Auf einmal sieht er diese Hände auf den schmalen Schultern von Doris. Morgen, hämmert es in ihm, morgen bin ich weg. Morgen ist die Bahn frei! Diese Hände kennen keine Rücksicht!
»Noch ’nen Doppelten?« fragt Kempe.
»Nein«, erwidert Klaus gepreßt.
»Wat? Keen Schnaps?«
»Danke«, antwortet der Oberleutnant, »es reicht.«
Der Hauptsturmführer beugt sich vor.
»Wat is denn mit dir schon wieder los?«
»Ich reise morgen ab«, versetzt Klaus knapp.
»Prima«, nickt Kempe anerkennend, »dann bist du ja raus aus dem Scheißladen.«
Klaus zuckt die Schultern. Sein Kinn zittert. 129
»Ich schon«, antwortet er dann, »aber Doris ... muß
hierbleiben.«
Kempe nickt bedächtig. Er hat verstanden, greift nach seinem Glas. Es ist leer. Er wischt es vom Tisch. Es zerspringt klirrend am Boden.
»Habt ihr Selters oder so wat?« fragt der SS-Offizier heiser. Das Mädchen gibt ihm eine ganze Flasche. Er gießt sich die hohle Hand voll, klatscht sich das Wasser ins Gesicht. Das Wasser tropft ihm über das Kinn.
»Ich will sie herausbekommen ... von draußen irgendwie ...«, sagt Klaus ohne Hoffnung.
»Det mußte«, entgegnet Kempe, »aber schleunigst!«
Auf einmal wirkt er gar nicht mehr betrunken. Er leert die Wasserflasche, ohne abzusetzen.
»Na ja«, brummt er.
»Und euer Verein ist an allem schuld.«
»Sag det nich noch mal ... ick ... wir ... die Waffen-SS haben damit nischt zu tun!«
»Wer sonst?« fragt Klaus hart.
»Hör zu, Flieger«, erwidert Kempe drohend. Er greift nach dem Schnapsglas wie nach der Kehle des Feindes. »Da kann ick pampig werden, Kumpel ...«
»Und welche Uniform trägt Westroff-Meyer? Das ist doch die gleiche ...«
»Ach, hör doch auf mit dem ... mit dem Quasselkopp ... Menschen mit ’nem Bindestrich kann ick sowieso nicht
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