3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Tag umlegen ... erst die Juden und die Bolschewiken ... dann greifen wir uns die anderen, nach und nach ... Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden ... seien Sie doch nicht so voreilig!«
»Ich werde die Sache erledigen«, sagte Westroff-Meyer. Ein fauler Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Er grinste. Der Gruppenführer sah es und lächelte. Das war ein Mann nach seinem Geschmack: Erstens gehorsam, und zweitens schlau. Und so bedingungslos ...
Er gab dem Obersturmbannführer die Hand. Westroff-Meyer schlug die Hacken zusammen, während seine Gedanken bereits daran bastelten, ein klare Niederlage in einen heimtückischen Sieg zu verwandeln.
Für Doris wird aus Verzweiflung Gewohnheit. Aus der Gewohnheit stumpfes Dahindämmern. Tage genügen, um aus der jungen Frau einen Menschen zu machen, der mit dem 243
Gefühl lebt, daß ihm stets aufs neue ein Glied abgeschlagen würde. Jede Sekunde! Wenn sie das Zimmer betritt, in dem der Kleine atmen und leben müßte. Wenn sie die Schränke öffnet, in denen die Windeln und Höschen übereinanderliegen. Wenn sie bei dem leisesten Geräusch im Haus zusammenzuckt und begreift, daß es weder das Lachen noch das Weinen ihres Kindes war ...
Der RAD hat Doris nunmehr willig entlassen, das Elternhaus sie kühl aufgenommen. Die Fragen prallen von ihr ab. Sie darf ja nicht über ihr Leid sprechen. Schließlich geben es die Angehörigen auf. Die Augenlider der jungen Frau sind durchsichtig geworden, blaugeädert. In den Wimpern hängen keine Tränen mehr. Sie ist leergeweint. So lebt Doris, in sich selbst verschlossen, zurückgezogen, wie in einer Schale. Meist hat sie die Fensterrollos heruntergelassen. Selbst das Licht tut ihr weh.
Jede Bewegung verlangt Oberwindung. Doris ist vom Leben abgeschnitten. Es zieht an ihr vorüber, in Gestalten und Bildern aus flüchtigen Dämpfen. Selbst Klaus, ihr Mann, wurde unwirklich, unwirklich, daß er das Ritterkreuz erhielt, daß er vor dem Genesungsurlaub steht, daß er vielleicht schon heute nach Hause kommt ... heute, nach Hause, zu ihr. Doris ist so apathisch, daß sie nicht einmal mehr Angst vor dem Wiedersehen empfindet. Sie erschrickt nicht bei der Entdeckung, daß sie nicht auf Klaus wartet. Denn alle Kraft zu warten, zu hoffen, zu bangen, ist nur auf ein einziges Wesen gerichtet: auf ihr Kind.
Dann klingelt es. Armer Klaus, denkt Doris, fast mitleidig. Sie geht mit ärmlichen Schritten durch den Korridor der kleinen Wohnung, die er noch nie sah. So anders hätte es sein können, überlegt Doris, und dabei kommen doch wieder ein paar Tränen.
In der Tür stehen drei Menschen. Die Dämmerung des 244
Treppenhauses verzeichnet sie zu Schatten.
»Sie wünschen?« fragt Doris mit trockenen Lippen. Jetzt erst erkennt sie die Polizeiuniform. Der zweite Mann trägt Zivil. Im Hintergrund hält sich eine Frau, eine Schwester.
»Sie sind Frau Steinbach?« fragt der Zivilist. Doris nickt. Sie starrt auf die Schwester, die ein großes, vermummtes Bündel auf dem Arm trägt. Auf einmal schlägt der Puls von Doris rasend.
»Ich komme von der Ortsgruppenleitung«, erklärt der Zivilist. »Wir dürfen einen Moment hereinkommen?«
»Ja«, sagt Doris ohne Ton. Sie muß sich gegen die Tür stützen.
Die Schwester betritt als letzte die Wohnung.
»Wir haben eine Überraschung für Sie«, sagt der Zivilist lächelnd. Er blättert einen Brief auseinander. Da schreit Doris auf. Hell, schrill. In diesem Schrei geht alles unter. Die gedrechselten Worte des Parteifunktionärs. Der Holzkopf des Polizisten. Das Schafsgesicht der Schwester.
»Ich habe den Auftrag ... Ihnen das Kind Klaus zu übergeben
... im Auftrag der Partei ...«
Doris hört nichts mehr. Sie streckt die Arme aus. Ihr Körper zuckt. Sie preßt das Bündel an sich, vergräbt ihr Gesicht. Sie lacht. Sie schluchzt. Sie wird blaß. Die Schwester schiebt ihr rasch einen Stuhl hin.
»Sie müssen das unterschreiben«, sagt der Polizist verlegen. Doris nickt. Aber sie sieht und hört nur ihr Kind. Die Schwester will es ihr solange abnehmen.
»Nein!« sagt Doris sinnlos. Ihr schmaler Körper zittert.
»Aber ... Frau Steinbach ...«, meint der Mann von der Ortsgruppenleitung. Was hat sie bloß? denkt er. Warum nimmt sie denn ihr Kind nicht gleich aus dem Heim mit, wenn sie so 245
an ihm hängt? Verrückt ...
Doris fragt nichts, sagt nichts. Sie wundert sich nicht. Sie will nichts erfahren. Sie weiß nur eines: ihr Kind ist wieder da. Sie setzt zittrig ihren Namen unter ein
Weitere Kostenlose Bücher