3. Reich Lebensborn E.V.rtf
blonde Sekretärin, wußte, daß er heute wiederkommen würde. Sie beugte sich erschrocken und trotzig über ihre Schreibmaschine. Das resolute Mädchen hatte den ganzen Tag schon Angst empfunden, Angst vor dem Chef, dessen Sekretärin sie sein mußte. Jetzt kamen die Schritte näher. Sie hämmerten im Rhythmus des Kampfliedes: Wir werden weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt ... bis alles in Scherben fällt ... bis alles in Scherben fällt. Erikas Gedanken blieben wie eine Grammophonnadel an der gleichen Stelle stehen. 248
Er riß die Tür auf wie ein Herr über Leben und Tod. Sein Lächeln klebte so schräg im Gesicht wie das Band zum Kriegsverdienstkreuz auf dem Waffenrock, das wie eine blutige Narbe leuchtete.
»Na«, sagte er, »so fleißig noch am Abend?«
»Ich muß meine Rückstände aufarbeiten«, erwiderte Erika, ohne aufzusehen.
»Freut mich, daß Sie Ihre Pflicht so ernst nehmen ...«
Westroff-Meyer bot ihr eine Zigarette an und reichte ihr Feuer. Erika zog den Rauch ein.
»Gefällt es Ihnen bei uns?«
»Gefallen?« antwortete sie, »ich denke, ich bin hier, um zu arbeiten.«
Der Obersturmbannführer lachte jovial. Die erwartete Freizeitgestaltung des heutigen Abends zuckte in seinem Gesicht. Erika sah es, und wieder spürte sie das unangenehme Gefühl. Westroff-Meyer wand sich wie ein hilfloser Galan des Augenblicks.
»Ich bin sehr zufrieden«, entgegnete er, »aber immer kann man auch nicht arbeiten ... ich glaube, es ist an der Zeit, daß
wir uns ... ich meine ... auch einmal menschlich etwas näherkommen ...«
Erika nickte kraftlos.
Er nahm das Wachstuch und stülpte es über die Maschine.
»Schluß für heute!« schmetterte er fröhlich.
Dann holte er den Schnaps. Der Kognak gluckerte wie sein Lachen. Im Zittern seiner Hand schoß die Flüssigkeit über das Ziel hinaus. Ein paar Tropfen kullerten über den Schreibtisch wie Tränen, die zu dieser Behörde gehörten, wie der Nebel zum Sumpf.
»Mögen Sie?« fragte er. Er deutete auf das Glas. 249
»Warum nicht?«
»Also dann: Prost!«
Er stieß ruckartig mit Erika an. Ein Spritzer Kognak schwabbte über ihre Finger.
»Sie gefallen mir«, beteuerte der SS-Offizier mit lauernden Hechtaugen.
»Danke.«
»Ich hoffe, daß auch Sie ... äh ... mit mir nicht ganz unzufrieden sind ...«
»Eitel?«
»Nein«, versetzte er schnell, »für so was habe ich gar keine Zeit ... Sie wissen doch, daß ich rastlos nur ...«
Erika griff nach dem wiedergefüllten Glas.
»Für das Reich, den Führer und das Vaterland ...«, leierte sie herunter. »Prost!«
Noch immer war sein Wohlwollen größer als sein Mißtrauen, und seine Erwartung stärker als alles zusammen. Er schnalzte mit der Zunge. Seine Gedanken verfielen in Dauerlauf. Er schenkte seiner Sekretärin flink und behend nach, wie ein provinzieller Kavalier, dem das Animieren nicht schnell genug geht. Der Obersturmbannführer spürte instinktiv, daß er fehlende Sympathie durch Alkohol ergänzen mußte.
»Prost, Erika!«
»Prost, Obersturmbannführer!«
»Laß doch den Titel ... heute sind wir mal Mensch, nicht?«
»Gerne«, versetzte Erika ungerne.
»Kannst du eigentlich tanzen?«
»Ich weiß nicht, ob meine Beine nicht schon eingerostet sind
...«
»Probieren wir’s aus ...«
»Aber ... wir haben doch Krieg«, erwiderte Erika zögernd. 250
»Quatsch«, sagte Westroff-Meyer brutal. »Ich habe da meine Spezialdiele«, grinste er dann wissend, »und da gibt es alles noch, was es nicht mehr gibt ...«
»Für die oberen Zehntausend wohl?«
Der Obersturmbannführer warf sich in die Brust, die die Uniform wie ein Korsett zusammenschnürte.
»Gehöre ich vielleicht nicht dazu?« prahlte er schnaubend. Westroff-Meyer griff selbst nach dem Telefon und rief den Pförtner an, um seinen Wagen vorfahren zu lassen, dessen Räder heute nicht für den Sieg, sondern für das Vergnügen rollten. Der Fahrer hielt vor dem Seiteneingang eines Luxusrestaurants für Günstlinge und Würdenträger des Regimes, die für den Heldentod zu schade waren, den sie täglich predigten.
Der Oberkellner kam dienernd näher und deutete auf ein Separee.
»Sekt!« sagte Westroff-Meyer noch unterwegs.
Erika schämte sich einen Augenblick, daß sie neben ihm herlief. Aber sie wußte, daß sie keinen Schritt weitergehen würde.
»Staunst du, was?« bemerkte der Obersturmbannführer, als der Kellner den Champagner gebracht hatte. Er sagte abwechselnd ›Du‹ oder ›Sie‹ zu Erika, wie es ihm die Zunge
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