3. Reich Lebensborn E.V.rtf
Schriftstück, auf dem die Buchstaben verschwimmen. Sie unterschreibt, daß sie ordnungsgemäß ihr Kind in Empfang genommen hat. Sie bestätigt, daß es ihr eigenes ist. Nicht einmal Mutterliebe ohne Bürokratie! Aber neben der Freude, die so groß ist, daß sie schmerzt wie die tiefste Trauer, hat kein anderes Gefühl mehr Raum. Das Groteske kommt der jungen Frau nicht zum Bewußtsein: Daß ein infamer Raub auf einem vorgedruckten Formular seine bequeme Bereinigung finden soll. Es ist Doris gleichgültig.
Sie legt zärtlich und vorsichtig beide Hände um das kleine Gesicht in den Kissen. Das Kind greint. Ich muß es gleich wickeln, denkt die junge Mutter.
Die Männer haben ihre Mission erfüllt und werden unruhig. Die Schwester fragt:
»Soll ich Ihnen helfen?«
»Oh, nein«, antwortet Doris fast erschrocken. Dann ist sie endlich allein. Mit einem Wunder. Mit ihrem Kind. Mit dem kleinen Klaus. Verloren und wiedergefunden. Ein Tag genügt, um ein graues Leben in strahlendes Glück zu tauchen. Sie zieht den Kleinen aus, legt ihn in sein winziges Bett. Immer wieder muß sie sich setzen, weil das Gefühl ihre Hände überwältigt. In rasendem Wirbel fällt sie von dem Gipfel des Glücks in die Abgründe des Schreckens. Ist ihm auch nichts geschehen? Ist er ganz gesund? Ist er nicht zu mager? Warum schreit er so wenig?
Sie schleicht sich hundertmal an die Wiege, wenn das Kind schläft. Sie versucht, sich an die ersten Wochen zurückzuerinnern. War er denn so blond? Aber natürlich!
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Seitdem sind die Haare gewachsen. Er ist doch älter geworden. Und die Lippen sind schon ein wenig breiter. Und die Nase hat sich auch etwas verformt. Aus hundert Zweifeln werden hundert Gewißheiten. Auf und ab, hin und her. Zwei Schalen eines Herzens reiben sich aneinander.
Am Abend kommt der große Klaus. Er findet Doris weinend und verstört am Bett des Kindes. Es ist zuviel für sie. Zuviel des Glücks. Zuerst das Kind. Dann der Mann. Zuerst die Haft, dann das Leben.
Auch Klaus steht ergriffen vor seinem Kind, für das er jede Schlacht schlagen und jeden Krieg gewinnen wollte. Dann weicht die Empfindung einem anderen Gefühl: dem Stolz. Meine Waffengattung denkt er, die Luftwaffe! Er wischt die Vergangenheit von sich, wie die Erinnerung an einen wüsten Traum. Natürlich, sagt er sich, es wäre ja anders gar nicht denkbar gewesen! Mögen diese Burschen von der SS ruhig mal einen Übergriff verüben ... wir sind noch da, die Soldaten der regulären Wehrmacht, der General, seine Offiziere und die Mannschaften. Wir werden mit allen Auswüchsen fertig! Und wir stehen doch zueinander, helfen uns, glauben an das Deutschland, für das wir kämpfen ... im dem es keinen Kindsraub gibt, und in dem die trinkenden, grunzenden Westroff-Meyer zu fahlen, faden Feiglingen werden, die wir nach dem Krieg bekämpfen werden wie tollwütige Hunde ... So stehen sie zusammen vor ihrem Kind: Doris an Klaus gelehnt.
»Er ist größer geworden«, sagt die junge Frau.
»Aber natürlich.« Klaus lächelt. »Kinder entwickeln sich in den ersten Wochen doch ganz rasch ...«
»Mein Gott«, flüstert Doris. Dann schließt sie die Augen. Ihr Kopf sinkt an seinen Waffenrock. So leicht ist ihr auf einmal, so licht, so wohl.
»Ich bin so dankbar«, sagt sie leise.
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»Ich auch«, erwidert Klaus, »weil du so bist, wie du bist ... und weil er ...«, er deutet auf die Wiege, »weil er auch so ist wie du ...«
Vier Wochen zu dritt. Vier Wochen ohne Sorge, ohne Angst, ohne Trübung, so wie sie es immer erwartet, erträumt haben. Selbst der Luftkrieg macht in diesen Wochen einen Bogen um die süddeutsche Stadt.
So gehen sie nebeneinander her, durch den Park, der ihnen als Kinder soviel bedeutete, und in dem sie sich als Erwachsene fanden. Ein Paar, dem alle nachsehen. Der junge, hochgewachsene Offizier mit dem Ritterkreuz, das alle Blicke magisch auf sich zieht, die junge Frau, die so schwerelos lächeln kann.
Langsam weicht der Traum der Wirklichkeit. Klaus und Doris kommen zu sich, begreifen, daß ihr Zusammensein wirklich, nicht nebulos ist, und werden um so glücklicher. Vierzehn Tage. Drei Wochen. Vier ...
Die Wirklichkeit träumt so lange, bis eines Tages SSObersturmbannführer Westroff-Meyer beschließt, seiner neuen Sekretärin Erika näherzukommen ...
Der hohle Gang verzerrte den Schritt des
Obersturmbannführers Westroff-Meyer zum grotesken Getrampel eines gestiefelten Elefanten. Sein Selbstbewußtsein holperte durch das Gelände. Erika, die
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