3. Reich Lebensborn E.V.rtf
hatte ihre bloßen Körper den feindlichen Garben ausgesetzt ...
Der Boden drehte sich unter den Füßen von Klaus. Gold gab ich für Eisen, dachte er, mein Kind für einen Orden. Leere, lose Worte dröhnten in seinem Kopf, wuchsen zu einer brausenden Lawine. Der Junge ist geraubt! Und das begrub alles unter sich: Die Freude, der Stolz, den Augenblick, die Zukunft.
»Heil Hitler, Soldaten!« schrie der General.
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»Heil Hitler, Herr General«, rumpelte das Geschwader. Klaus rief nicht mit. Mit erzwungener Kälte, wie durch eine beschlagene Glaswand, sah er dem General entgegen, der jetzt breitbeinig auf die Front der Männer zukam. Klaus hörte seinen Namen. Sein Nachbar gab ihm einen leichten Rippenstoß. Klaus setzte sich in Bewegung. In seinem Rücken brannten die Augen der Kameraden vor Neid. Er ging wie auf Prothesen, steif, hölzern.
Der Adjutant neben dem General hielt ein kleines Kästchen in der Hand. Der hohe Offizier hatte unnatürlich blaue Augen. Sie leuchteten wie in einem Ufa-Farbfilm.
»Oberleutnant Steinbach«, sagte der General mit erhobener Stimme, »in Anerkennung Ihrer Erfolge ...«
Klaus legte schlaff die Hand an das Uniformtuch. Der Riemen des Stahlhelms schnürte ihm die Kehle zu.
» ... hat der Führer und Oberste Befehlshaber Ihnen das Ritterkreuz verliehen«, schnarrte der General weiter. Ein Murmeln lief durch die Reihen der angetretenen Soldaten. Klaus sah dem hohen Offizier auf den Schnurrbart. Zielübung. Der Blick des Schützen ruht auf einem angenommenen Punkt im Gelände. Der General nahm das Kästchen aus der Hand des Adjutanten. Klaus beobachtete den Vorgang ohne jede Regung. Das Ritterkreuz glänzte auf Samt. Es schwebte auf ihn zu. Es pendelte am Band zwischen den Fingern des Generals.
Klaus zog den Kopf ein. Erst mein Kind, dachte er, dann das! Er versteifte sich im Kreuz. Er bewegte mechanisch den klammen Nacken. Der General war viel kleiner als Klaus. Er hob hilflos die Arme, als versuchte er, ohne Leiter den Stern auf einen Christbaum zu setzen.
Der Mühlstein, überlegte Klaus, als er das Band im Genick fühlte. Kein Band – ein Strick. Kein Orden – eine Last. 238
Er ging zurück. Er sah in die glänzenden Augen seiner Kameraden. Und er stellte dabei fest, wie viele sich inzwischen wieder die Kartoffeln von unten ansahen. Die Kartoffeln ... von unten ... die haben’s überstanden. Die haben ausgekämpft, ausgelitten. Die sind fein dran.
Und Klaus Steinbach, der eben die höchste Auszeichnung erhielt, die der Krieg für einen jungen Offizier zu vergeben hatte, verspürte auf einmal Neid auf seine toten Kameraden ...
»Bitte mich beim Herrn General zum Rapport melden zu dürfen.« Er gebrauchte automatisch die Anrede in der dritten Person, die ebenso verpönt wie erwünscht war.
»Was ist los mit Ihnen«, knurrte der General. Er gab ihm die Hand. »Ich freue mich, daß gerade Sie ...« Seine Augen waren schon beim nächsten, der ausgezeichnet wurde. Er rief Klaus zu: »Melden Sie sich in zehn Minuten!«
Solange ließ Klaus, der gleichzeitig zum Hauptmann befördert worden war, mit tauben Ohren die Glückwünsche seiner Kameraden über sich ergehen. So nahm ein PK-Mann vor ihm das offizielle Bild auf: Fahrige Augen, tief in den Höhlen, und ein Gesicht, das ganz woanders war, fern, unwirklich, verloren. Und in irgendeiner Redaktion würde man darunterschreiben: ›Das angespannte Gesicht eines deutschen Soldaten nach der siegreichen Schlacht‹.
Der General tippte seinem Hauptmann jovial auf die Schulter.
»Sie sind ein komischer Kerl, Steinbach ... freuen Sie sich gar nicht?«
»Jawohl, Herr General«, erwiderte Klaus gehorsam.
»Kommen Sie.«
Sie standen sich gegenüber.
»Also ... was gibt’s?«
»Herr General ... ich bitte ... das Ritterkreuz nicht annehmen 239
zu müssen.«
»Verrückt«, knurrte der hohe Offizier.
Höhenkrankheit, dachte er, Kabinenkoller.
»Setzen Sie sich ... also, was ist los?«
Klaus zog das Telegramm aus der Tasche. Der General las es kopfschüttelnd.
»Kindsentführung«, murmelte er, »tut mir aufrichtig leid ... aber das hat doch nichts ... mit Ihrer Auszeichnung zu tun.«
»Doch«, entgegnete Klaus hart. Er erklärte die Zusammenhänge.
Der General sah langsam an ihm hoch. Sein Blick blieb an dem Ritterkreuz hängen. Zerstreut faßte der hohe Offizier nach seinem eigenen.
»Gut, Steinbach«, antwortete er scharf. Die Pause machte sich breit. Der General ging im Zimmer auf und ab. Vielleicht dachte er in
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