3 - Wächter des Zwielichts
Schawarma. Vermutlich befanden sich im Radius von hundert Metern nicht weniger als zwei-, dreitausend Menschen.
Ich blickte auf den imaginären »Kompass«. Langsam drehte sich die Nadel.
»Wir sollten umgehend Aschenbrödel anheuern«, sagte Geser, während er sich umsah. »Wir müssen einen Mohnsamen in einem Sack Hirse finden.«
Einer nach dem andern tauchten die Inquisitoren neben uns auf. Edgars Gesicht, der sich bereits auf einen harten Kampf eingestellt und vorbereitet hatte, spiegelte seine Verwirrung wider.
»Er versucht, sich zu verstecken«, sagte Sebulon. »Schön, soll er...«
Doch auch in seinem Gesicht stand keine besondere Freude geschrieben.
Unserer Gruppe näherte sich eine schwer befrachtete Frau mit gestreiften Plastiktaschen auf einem Handwagen. In dem verschwitzten roten Gesicht zeigte sich jene Entschlossenheit, wie sie nur eine russische Frau haben kann, die als so genanntes Shuttle arbeitet, indem sie Sachen aus dem Ausland heranschafft und sie hier verkauft, um ihren nichtsnutzigen Mann sowie drei oder vier Kinder durchzufüttern.
»Der Zug nach Uljanowsk ist noch nicht ausgerufen, oder?«, wollte sie wissen.
Swetlana schloss kurz die Augen. »In sechs Minuten auf Gleis 1, fährt mit drei Minuten Verspätung ab«, antwortete sie dann.
»Vielen Dank«, meinte die Frau, die sich über die Präzision der Auskunft nicht im Mindesten verwunderte. Dann ging sie zu Gleis 1.
»Das ist sehr freundlich, Swetlana«, murmelte Geser. »Aber welchen Vorschlag hast du, damit wir das Buch finden?« Swetlana breitete nur die Arme aus. Das Cafe war so gemütlich und so sauber, wie ein Bahnhofscafe gemütlich und sauber sein kann. Vielleicht, weil es etwas komisch lag, im Souterrain, neben den Schließfächern. Hierher kamen kaum Bahnhofspenner, anscheinend hatten die Betreiber des Cafes ihnen das abgewöhnt. Eine ältere russische Hausfrau stand hinter dem Tresen, aus der Küche brachten einsilbige, freundliche Kaukasier das Essen herbei. Ein komischer Ort.
Ich holte für Sweta und mich trockenen Wein aus einem Dreiliter-Tetrapack. Der zu meinem Erstaunen billig und zu meinem noch größeren Erstaunen gut war. Damit kehrte ich zu dem Ecktisch zurück, an den wir beide uns gesetzt hatten.
»Es ist noch immer hier«, sagte Swetlana, indem sie in Richtung Arinas Brief nickte. Die Nadel des »Kompasses« drehte sich langsam.
»Vielleicht ist das Buch in einem Schließfach versteckt«, schlug ich vor.
Swetlana nippte an ihrem Wein und nickte - entweder meinem Vorschlag zustimmend oder sich mit dem Merlot aus Krasnodar abfindend. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig.
»Warum der Bahnhof?«, antwortete Swetlana mit einer Gegenfrage.
»Um zu fliehen. Sich zu verstecken. Der Täter muss damit gerechnet haben, dass wir ihn verfolgen.«
»Der Flughafen. Ein Flugzeug. Egal wohin«, entgegnete Swetlana lakonisch, wobei sie ihren Wein in kleinen Schlucken trank. Ich breitete die Arme aus.
In der Tat, das war seltsam. Ein Anderer - wer auch immer er sein mochte - konnte, nachdem er das Fuaran gestohlen hatte, versuchen unterzutauchen oder zu fliehen. Unser Kandidat wählte die zweite Variante. Aber warum mit dem Zug? Im 21. Jahrhundert eine Flucht per Zug? »Vielleicht hat er Angst vorm Fliegen«, mutmaßte Swetlana.
Ich schnaubte nur. Natürlich hätte auch ein Anderer kaum Chancen, einen Flugzeugabsturz zu überleben. Aber er könnte sich drei, vier Stunden vorher die Wahrscheinlichkeitslinien ansehen, klären, ob bei einem Flug eine Katastrophe droht. Dazu ist sogar ein schwacher Anderer in der Lage. Und der Mörder von Viteszlav war nicht schwach.
»Er muss irgendwohin, wo keine Flugzeuge hinfliegen«, schlug ich vor.
»Immerhin könnte er Moskau erst mit dem Flugzeug verlassen, um seine Verfolger abzuschütteln.«
»Nein«, korrigierte ich Swetlana voller Vergnügen. »Das würde ihm nichts bringen. Wir könnten seinen Aufenthaltsort annähernd bestimmen, würden ahnen, in welchem Flugzeug der Täwachungskameras im Flughafen auswerten und seine Identität feststellen. Dann würde Geser oder Sebulon ein Portal öffnen... und zwar genau da, wo er hin wollte. Damit hätte er im Vergleich zur jetzigen Situation nichts gewonnen, wir aber würden unseren Feind persönlich kennen.«
Swetlana nickte. Sah auf die Uhr. Schüttelte den Kopf. Einen Moment lang schloss sie die Augen und lächelte gelassen. Mit Nadjuschka war also alles in Ordnung.
»Warum sollte er überhaupt fliehen
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