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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auszustellen.
    Ich wurde auch heute bald wieder geweckt, und zwar abermals durch Omar Ben Sadek. Er schüttelte an meinem Arm und sagte leise, um die andern Schläfer nicht zu stören:
    „Sihdi, steh doch einmal auf und horch, was das für Töne sind! So eine Tierstimme habe ich noch nie gehört.“
    Ich tat ihm den Willen, entfernte mich mit ihm eine kleine Strecke vom Lagerplatz und horchte. Es herrschte die tiefste Stille rund umher. Doch bald wurde sie durch einen eigentümlichen Ton unterbrochen, den ich allerdings auch nicht unterzubringen wußte. Eine Tierstimme war es nicht, und als sich dieser Ton einigemal wiederholt hatte, sagte ich:
    „Sonderbar! Wenn dies nicht die Stimme eines rufenden Kindes ist, so weiß ich nicht, wem sie gehören soll. Schakal oder Fennek ist es nicht, Hyäne vollends gar nicht. Gehen wir langsam näher!“
    Wir setzten uns in Bewegung, und je weiter wir kamen, desto deutlicher wurden die Laute; dann unterschieden wir die beiden Silben Zar – ka, die von einer klagenden Kinderstimme gerufen wurden. Zarka ist das Femininum des arabischen Wortes asrak, welches blau bedeutet; hier war es also wohl der Name einer Frau oder eines Mädchens. Ein Kind allein hier in der Wüste? Unmöglich! Es waren jedenfalls andere Personen dabei, und da galt es, vorsichtig zu sein. Wir schlichen uns näher und immer näher, bis wir zu unserm Erstaunen sahen, daß das Kind allerdings ganz mutterseelenallein im Sand lag. Das konnte eine Falle sein, und darum beschloß ich, die Umgegend recht sorgfältig abzusuchen.
    Dies dauerte ziemlich lange, und als ich damit fertig war und zu Omar zurückkehrte, saß er auf der Erde, mit dem Kind auf dem Arm. Es hatte die Ärmchen um seinen Hals geschlungen und schlief.
    „Pst, Sihdi, wecke es nicht!“ flüsterte er. „Es schläft. Wir wollen ganz leise, ganz leise zurückkehren.“
    Er stand langsam auf, um das Kind ja nicht etwa durch eine schnelle Bewegung zu wecken, und trug es nach dem Lager. Dort setzte er sich nieder und blieb die ganze Nacht vollständig bewegungslos sitzen, er, der rauhe Beduine, den ich nur seinem Weib gegenüber weich gesehen hatte. Die letzte Wache war auf mich gefallen, und so sah ich beim Anbruch des Tages die rührende Hingebung, welche er für den Findling hegte. Es war ein Knabe.
    Da regte sich dieser und ließ, noch schlaftrunken, wieder den Namen Zarka hören. Dann schlug er die Augen auf, aber was für Augen! Sie waren blau; fast möchte ich sagen, himmelblau, wenn es überhaupt himmelblaue Augen gäbe, denn die himmelblaue Farbe der Augen ist lediglich eine Erfindung der Dichter. Ein Araberknabe himmelblaue Augen! Omar stieß einen lauten Ruf der Überraschung aus und war ganz entzückt darüber; es war allerdings ein Knäblein, wie gemalt, vielleicht anderthalb Jahre alt. Der Ruf weckte die Schläfer auf, die nicht wenig verwundert waren, als sie das Kind erblickten. Dieses fürchtete sich vor ihnen, suchte Schutz am Hals Omars und rief wieder nach seiner Zarka. Wir gaben ihm zu trinken und einige weiche Datteln; da beruhigte es sich.
    Was mit dem Knaben tun? Ihn mit uns nehmen, das ging wohl kaum; noch weniger konnten wir ihn hier zurücklassen. Der nächste Ort war el Achadid, an der Wasit-Straße; dorthin wollten wir ihn bringen, denn es war zu vermuten, daß er dorthin gehörte. Das zwang uns zu einem Umweg, war aber nicht zu ändern. Wir saßen also auf und schlugen die Richtung nach diesem Ort ein. Das Kind fürchtete sich vor uns allen und weinte, wenn sich einer von uns ihm näherte; zu dem braven Omar aber zeigte es sonderbarerweise eine wahre Zärtlichkeit, über welche er ganz glücklich war. Er hatte es bei sich auf dem Pferd und sorgte dafür mit einer Aufmerksamkeit, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte.
    „Sihdi“, sagte er, „das ist ein wahrer Herzensknabe. Ich schwöre bei Allah, daß ich ihn seinem Vater wiedergeben werde.“
    „Und wenn wir diesen nicht finden?“
    „So nehme ich ihn mit mir und bringe ihn meiner Sahama, dem Weib meiner Liebe, die voller Wonne über ihn sein wird.“
    Seine Zuneigung zu dem Knaben wuchs von Stunde zu Stunde, und als wir gegen Abend in der Nähe von el Achadid angekommen waren, sagte er:
    „Ich wollte, die Eltern wären nicht zu finden. Sieh, wie er mich am Bart zerrt und dabei lacht! Aber trotzdem sollen sie ihn wieder haben, und wenn sie noch so weit von hier wohnen. Bei Allah, ich werde ihnen ihr verlorenes Glück wieder bringen!“
    Er ahnte nicht, was dieses

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