30 - Auf fremden Pfaden
fragte er. „Ist das ein Wunder oder keins?“
„Es ist kein Wunder, sondern nur Vaterliebe und Eitelkeit.“
„Er aber ist der Vater!“
„Natürlich!“
„So hat er einen Harem, also ein Haus?“
„Ja. Der Freund ist er selbst. Denn wenn dieser Freund eine so hohe Stellung hätte, daß er ihretwegen nicht zu uns gehen dürfte, so würde sie ihm noch viel mehr verbieten, seine Tochter einem Bettler anzuvertrauen, noch dazu des Abends.“
„Aber wo hat er seinen Harem, sein Haus? In der Ruine nebenan, wo er sich aufhält, wenn er nicht beim Tore Zuweileh sich befindet, kann er nicht mit Weib und Tochter wohnen. Er ist wirklich etwas ganz anderes als ein Bettler; er hat Heimlichkeiten, sage ich dir, vielleicht ganz wichtige Heimlichkeiten. Mit welcher Überzeugung und Sicherheit er dich warnte!“
„Pah! Wer weiß, was er gehört hat, und nun gibt er einem wahrscheinlich ganz harmlosen Wort grundfalsche Bedeutung.“
„Es könnte aber doch etwas an der Sache sein!“
„Nein.“
„Bedenke doch, wenn er wirklich kein bloßer Bettler, sondern ein ungewöhnlicher, geheimnisvoller Mensch ist, so solltest du von seiner Warnung anders denken!“
„Warten wir es ab.“
Der Schahad war noch keine Viertelstunde fort, so kehrte er zurück; eine tiefverhüllte weibliche Gestalt folgte ihm.
„Das ist sie, die Tochter meines Freundes“, sagte er. „Sie wird dir jetzt den Ghodda zeigen. Der Reiniger der Pfeifen aber mag sich umdrehen, denn sein Auge darf nicht auf die Stelle der Schönheitstrauer fallen.“
Der Wirt kauerte sich so in die Ecke nieder, daß er uns seinen Rücken zukehrte. Die Frauengestalt bekam in der Gegend des Halses Bewegung; ihre Hände schoben die zwei Teile des Schleiers ein ganz, ganz klein wenig auseinander, und so entstand eine kleine Lücke, in welcher der unwillkommene Gegenstand der ‚Schönheitstrauer‘ erschien. O weh, es war kein Kröpfchen, sondern wirklich ein Kropf! Man konnte es der ‚Tochter des Freundes‘ nicht übelnehmen, daß sie ihn fortwünschte. Ich näherte meine Hand und untersuchte ihn so leise und schonend wie möglich. Wie freute ich mich, als ich fand, daß es weder ein Gefäß- noch ein gelatinöser Kropf, sondern eine Struma cystica war! Da konnte ich gleich helfen, denn hier handelte es sich nur um die Eröffnung und Entleerung der Anschwellung.
Als der Bettler sah, daß ich mit der Untersuchung fertig war, sagte er:
„Das ist rasch gegangen Effendi. Glaubst du, daß du helfen kannst?“
„Ja. Ich habe das Mittel sogar drin in meiner Stube und werde es holen, um die Stelle des Kummers damit zu bestreichen. Es wird ein klein wenig schmerzen, doch gar nicht sehr. Wenn die Tochter deines Freundes stillhält, wird ihr Hals bald dem des Schwanes gleichen.“
„Sie wird stillhalten; ich verspreche es dir. Hat doch die Lieblingsfrau des Propheten auch nicht gezuckt, als ihr ein kranker Finger aufgeschnitten wurde.“
Ich ging in meinen Wohnraum, um nicht sehen zu lassen, daß ich mein scharfes, spitzes Federmesser öffnete und in die rechte Hand versteckte; zurückkehrend hielt ich die linke so, als ob die Salbe sich in ihrer Höhlung befände. Die Patientin mußte sich an die Wand lehnen; dann wandte ich mich an den Reiniger der Pfeifen:
„Du kannst dich herumdrehen; es ist vorüber.“
„Du bist fertig?“ fragte der Bettler. „Sie kann also gehen?“
„Ja.“
„Gibst du ihr die Salbe mit?“
„Schau meine Hand! Es war keine Salbe, sondern mein Messer; ich habe den Ghodda geöffnet.“
„Allah! Bist du ein Mörder?“
„Ja, denn ich habe den Ghodda erstochen. Morgen abend wirst du wiederkommen und mir sagen, daß er verschwunden ist.“
Er hatte Angst; ich beruhigte ihn und sagte ihm, wie der Hals behandelt werden müsse; er wußte nicht, ob er mich ob meiner Kühnheit loben oder schelten sollte, und hielt es für das beste, zunächst gar nichts zu sagen und sich mit der glücklich Operierten zu entfernen.
Als er am folgenden Abend zu uns kam, strahlte sein Gesicht vor Freude; er reichte mir beide Hände und rief, noch ehe er sich setzte:
„Effendi, er ist weg, ganz weg! Man sieht nur noch die Stelle, wo dein Messer eingedrungen ist. Trotzdem macht die Tochter meines Freundes jetzt noch immer Umschläge, damit der Trübsinn ihrer Jugend nicht zurückkehren möge. Du bist weiser und klüger als alle gelehrten Männer und Zauberer, die nichts wußten. Was soll mein Freund dir zahlen?“
„Ich nehme nichts.“
„So sagst du
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