30 - Auf fremden Pfaden
jetzt, aber du wirst gezwungen werden, zu nehmen, was die Dankbarkeit dir bietet; das schwöre ich dir bei meinem Haar und Bart!“ –
Am nächsten Tage ging ich durch die Gasse, in der ich bei Ben Musa Effendi gewohnt hatte. Unser damaliger Nachbar, ein Silberarbeiter, saß unter der Tür seines offenen Ladens und rief mich zu sich, als er mich sah.
„Emir“, sagte er, „vorgestern habe ich mit Ben Musa Effendi gesprochen.“
„Ah! Wo?“ fragte ich, freudig überrascht.
„Hier. Er kam zufälligerweise vorüber und ich sagte ihm, daß du nach ihm und deinem Koffer suchst.“
„Ich danke dir! Du erfreust mit dieser Nachricht meine Seele. Er hat dir natürlich gesagt, wo er jetzt wohnt?“
„Nein. Er tat so geheimnisvoll. Er sagte, er sei jetzt gar nicht in Kairo gewesen; deinen Koffer aber habe er gut aufbewahrt. Er wollte deine Wohnung wissen, um ihn dir zu bringen oder zu schicken; aber ich wußte sie nicht. Da bat er mich, dich danach zu fragen und es ihm mitzuteilen, denn er werde wieder zu mir kommen.“
Das war sonderbar; später aber erfuhr ich den Grund seiner Heimlichtuerei. Ich teilte dem Silberarbeiter meine Wohnung mit und ging.
An diesem Abend kam der Bettler nicht zu uns und blieb auch die zwei folgenden aus. Das fiel uns auf; wir waren an ihn gewöhnt. Sollte er etwa krank sein? Ich ging am nächsten Morgen nach dem Bab Zuweileh; da saß er wie immer. Ich fragte ihn nach der Ursache seines Ausbleibens; er antwortete:
„Ich habe ein Gelübde getan, welches mich zum Du 'a el Mesa (Abendgebet) zwingt, und muß also daheim bleiben. Wenn es vorüber ist, komme ich wieder.“
„Wann wird das sein?“
„Das weiß ich nicht.“
Sonderbar! Er mußte doch wissen, was er gelobt hatte und wie viele Abende er zu beten hatte!
Wir standen im Anfang des September, und es gab prachtvolle Abende. An einem solchen gefiel es mir nicht in der engen Stube, und ich stieg auf das platte Dach des Hauses, um da oben meinen Tschibuk zu rauchen. Am vorderen Rand des Dachs sitzend, konnte ich sehen, was auf unserer Gasse vorging. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß ein Mann kam, welcher an die Tür des Bettlers klopfte und eingelassen wurde. Nach einiger Zeit kam ein zweiter, ein dritter und vierter. Ich zählte zwölf Personen, welche eingelassen wurden. Was wollten sie bei esch Schahad, der sonst niemand zu sich ließ? Ich dachte an die ‚Verschwörung‘, über welche ich gelacht hatte und blieb sitzen. Erst nach Mitternacht entfernten sie sich wieder, und zwar einzeln, wobei sie sich sehr behutsam verhielten.
Also kein Gelübde und kein Abendgebet, sondern heimliche Versammlungen! Das mir Unbegreifliche dabei war die Zahl der Personen. Der Bettler bewohnte nämlich ein fast ganz in Ruinen liegendes einstöckiges Häuschen, von welchem niemand wußte, wem es gehörte. Wahrscheinlich war der Eigentümer der reiche Abu Gibrail, welcher auf der mit der unserigen parallel laufenden Gasse wohnte und an dessen Grundstück die Hütte des Bettlers stieß. Diese Hütte hatte in ihrem jetzigen Zustand keinen Raum, in welchem zwölf Menschen beieinander sein konnten. Wo hatte da esch Schahad die Leute, welche heute bei ihm gewesen waren, untergebracht? Das war mir ein Rätsel.
Am nächsten Abend kam er wieder nicht zu uns; ich ging also abermals auf das Dach und machte ganz dieselbe Beobachtung wie gestern. Sollte es sich wirklich um eine Verschwörung handeln? Lächerlich!
Eben als ich am darauffolgenden Vormittag ausgehen wollte, kam ein Wasserträger an unsere Tür. Als er mir den Krug gefüllt und die geringe Bezahlung erhalten hatte, fragte er mich:
„Wohnt hier nicht ein fremder Effendi?“
„Ja.“
„Der Kara Ben Nemsi heißt?“
„Ja.“
„Wo ist er?“
„Hier; ich bin es.“
„So habe ich dir etwas zu geben.“
Er zog ein altes, schmieriges Tuch aus der Tasche, welches mit einer Schnur fest umbunden und verknotet war, warf es mir hin und ging.
Was befand sich in dem Tuch? Mir graute, es anzugreifen; ich hob es aber doch auf, zerschnitt den Bindfaden und zog es an den Zipfeln auseinander. Da fiel ein Lederbeutel heraus. Ich hob ihn auf und öffnete. Was! Goldstücke und dabei ein Zettel! Der letztere war zusammengeschlagen; ich machte ihn auf und las:
„Nimm dieses Geld und verlaß die Stadt, wenn auch dein Koffer verloren ist!“
Ich zählte das Geld. Es waren nach deutschem Gelde dreihundert Mark. Wer schickte mir diese Summe?
Ich eilte hinaus auf die Gasse, um mich nach dem
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