30 - Auf fremden Pfaden
vergießen.“
„Wessen Blut?“
„Dasjenige der Akra-Kurden. Doch, davon weißt du ja nichts; ich muß es dir erzählen. Einer der Schiiten traf vor zwei Jahren mit einigen Akra-Kurden zusammen. Sie fielen ihn an, um ihn zu berauben; er wehrte sich tapfer und entkam, nachdem er mehrere verwundet hatte. Aus Rache darüber griffen sie uns in unserm früheren Wohnsitz an, töteten eine Anzahl unserer Leute und schleppten acht Personen von uns fort, vier Männer, drei Frauen und ein Mädchen, teils Christen, teils Schiiten. Wir folgten, obgleich wir schwach waren, ihnen heimlich nach, um die Gefangenen, denen als Sklaven ein trauriges Schicksal bevorstand, zu befreien; aber die Akra sind nicht seßhaft; als wir ihre Hütten erreichten, fanden wir dieselben leer. Seit jener Zeit sind sie am Ghazirfluß gewesen, also so fern von uns, daß wir nicht zu ihnen konnten. Nun aber sind sie zurückgekehrt, und wohnen nur zwei Tagereisen von unserem jetzigen Dorf, wohin wir uns zurückgezogen haben. Einige Männer von uns sind hingegangen, um zu kundschaften; sie haben die Gefangenen bei schwerer Arbeit und in Ketten gesehen. Nun wollen wir diese befreien, wir Christen durch List, die Schiiten aber durch offenen Überfall; deshalb haben wir uns entzweit. Schir Saffi, der Anführer der Schiiten, zürnt uns sehr, daß wir nicht mit ihm ziehen wollen. Morgen will er mit seinen Leuten aufbrechen; wir aber müßten auch schon deshalb zurückbleiben, weil morgen das Id el Masbaha, das Fest des hl. Rosenkranzes ist. Herr, wenn du dieses mit uns feiern wolltest! Es ist ja seit langer Zeit kein Priester zu uns gekommen. Wir haben uns eine Kirche gebaut, mit einem Glöcklein an der Spitze, dessen Stimme du vorhin vielleicht vernommen hast. Da beten wir; aber eine Predigt haben wir seit Jahren nicht gehört, und el Korban el mukaddas, das heilige Abendmahl, noch viel, viel länger nicht empfangen.“
Diese Worte des ehrwürdigen Mannes rührten mich tief. Hier, in dieser Abgeschiedenheit, gab es einen Hunger nach geistlicher Speise, welcher nicht gestillt werden konnte. Also das Fest des Rosenkranzes war morgen? Ja, heute war ja der erste Oktober-Sonnabend, also morgen der Tag, an welchem die ganze katholische Christenheit dies Fest begeht. Ein Rosenkranzfest im wilden Kurdistan! Welcher Europäer hatte so etwas miterlebt? Keiner! Darum schüttelte ich dem Alten die Hand, mit welcher er die meinige noch hielt, und sagte:
„Ich werde nicht bei den Schiiten, sondern bei euch bleiben und das Fest mit euch begehen. Ihr sollt dabei eine Predigt hören.“
„Eine Predigt?“ fragte er schnell. „Bist du nicht nur ein Krieger, sondern auch ein Priester?“
„Nein. Dennoch wird Gott mir nicht zürnen, wenn ich euch das Wort verkünde, nach dem sich eure Herzen sehnen. Jeder Mensch soll eigentlich für den Kreis, in welchem er wirken kann, nach Wort und Wandel ein Priester sein. Aber werdet ihr, wenn ich spreche, mich verstehen?“
„So gut, wie ich dich jetzt verstehe, o Herr. Wir sind aus Bebozi, wo wir vertrieben wurden, herübergekommen.“
„Ja, ich weiß, daß dort katholische Christen waren, welche von den Missuri-Kurden schwer bedrückt worden sind. Der dortige arabische Dialekt ist mir bekannt; ihr werdet meine Rede verstehen. Nun aber führe uns zu euch, denn es dunkelt stark!“
„Ja, kommt, Herr! Ich werde mit tausend Freuden euer Führer sein.“
Er schritt uns voran, die kahle Bergkuppe hinab, und wir folgten ihm. Der Weg war so steil, daß wir absteigen und unsere Pferde führen mußten. Erst jetzt schenkte der Alte meinem Hengst seine Aufmerksamkeit. Er sah, daß das Pferd ein echter Araber vom reinsten Stammbaum war, und floß vor Bewunderung über.
Dann kam der Wald, welcher aus Eichen und Buchen bestand. Als wir unten am Fuß des Berges aus demselben traten, sahen wir ein langes und breites Tal vor uns liegen, durch dessen Mitte fast schnurgerade ein Bach floß. Dieses Tal hatte nur einen Aus- oder Eingang, uns zur Rechten; links hinten wurde es durch eine steile Querhöhe abgeschlossen, an deren Fuß das Wasser entsprang. Zu beiden Seiten des Baches weideten Pferde, Rinder, Schafe, und auch Ziegen. Drüben und hüben stand am Waldrand je eine Reihe von Hütten. Unter den diesseitigen gab es eine, welche höher war als die anderen und mit einer Spitze versehen; das war jedenfalls die Kirche, denn an dieser Spitze hing eine kleine Glocke. Jenseits zeichnete sich auch eine Hütte durch Umfang und Höhe vor den
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