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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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andern aus. Das war, wie ich dann hörte, die Moschee der Schiiten. Alle diese Wohnungen waren aus dünnen Stämmen errichtet; die Wände bestanden aus geflochtenen Zweigen. Der Alte deutete erst herüber und dann hinüber und sagte:
    „Hüben wohnen wir, drüben die Mohammedaner. Das Wasser bildet die Grenze, welche früher nicht beachtet wurde, jetzt aber eingehalten wird.“
    „Wer ist der Kiaja (Dorfschulze) bei euch?“ fragte ich.
    „Ich, obgleich ich der Ärmste und Beklagenswerteste von allen bin.“
    „Warum beklagenswert?“
    „Wegen der Geschichte, welche ich dir erzählt habe. Mein Sohn, sein Weib und mein Enkel, ein Sohn, befinden sich unter den Sklaven der Akra-Kurden. Ich bin nun ohne Familie und allein. Ich bete täglich zu Gott, daß meinen Kindern die Freiheit wieder werde; es ist bis jetzt vergeblich gewesen.“
    „Bete weiter! Das Gebet vermag viel, wenn es gläubig und ernstlich ist. Der Allgütige leitet alles zum Besten seiner Kinder. Die Prüfung, welche er euch auferlegt hat, wird euch im Glauben stärken.“
    „Herr, ich glaube ja! Ohne die Zuversicht hätte der Gram mich längst unter die Erde gebettet. Nun aber sollst du sehen, wie herzlich man dich empfangen wird.“
    Es waren bisher nur wenige Menschen zu sehen gewesen. Da ließ er einen lauten Ruf hören, während wir dem Dorf noch entgegenschritten, und sofort kamen hüben und drüben die Bewohner aus den Hütten. Als die diesseitigen uns erblickten, kamen sie uns entgegen; selbst die Kinder, auch die kleinsten, trippelten hinterher. Man sah, daß diese Leute nicht reich waren; ihre mehr als einfache Kleidung bewies es.
    „Hört, ihr Männer und ihr Frauen“, rief er ihnen zu, „der heutige Abend will uns eine freudige Auszeichnung bringen. Hier kommen Gäste. Dieser Emir und Effendi ist ein frommer Christ aus dem Abendland. Er will mit uns das Fest des Rosenkranzes begehen und die Feier desselben durch eine Predigt verherrlichen. Ihr werdet ihn willkommen heißen.“
    „Salahma, salahma, marhaba, marhaba, marhaba – heil, heil, willkommen, willkommen, willkommen!“ rief es da aus aller Munde, und alle Hände streckten sich uns entgegen. Als wir zusammentrafen, hatte ich nur zu drücken und zu schütteln. Als mir ein kleiner, etwa zweijähriger Bube auch sein Patschchen anbot und dabei auch ein Marhaba krähte, nahm ich ihn auf den Arm und gab ihm einen kräftigen Schmatz auf die frischen Lippen; das konnte ich wagen, weil er zufälligerweise in der Gegend, wohin der Kuß zu sitzen kam, ziemlich rein gescheuert war. Diese Freundlichkeit erregte das Entzücken aller Bewohner der christlichen Dorfseite. Sie erhoben ihr Salahma und Marhaba von neuem und noch kräftiger als vorher, und auch das Drücken und Schütteln der Hände wurde von vorn angefangen.
    „Ein Christ – aus dem Abendland – seht die Kleidung – diese Waffen – dieses Pferd – muß sehr tapfer sein – will predigen – bei wem wird er wohnen? Bei mir! Nein, bei mir! Nicht doch, sondern bei mir – still, ich muß ihn haben!“ so rief es durcheinander, bis der Alte diesen Interjektionen ein Ende machte, indem er mich fragte:
    „Emir, wo willst du wohnen? Du siehst, daß jeder dich haben will; sie streiten sich um dich. Bezeichne die Hütte, in welche du treten willst! Sie werden auf deinen Wunsch achten.“
    „Da wir euch allen so willkommen sind“, antwortete ich, „so werden wir euer aller Gäste sein und nicht diejenigen eines einzelnen. Wir sind gewohnt, im Freien zu schlafen, und werden also keiner Hütte bedürfen.“
    Dies sagte ich, weil ich keinen bevorzugen und infolgedessen beneiden lassen wollte, und auch weil ich wußte, daß die Wohnungen dieser Leute eine gewisse kleine sechsbeinige Bevölkerung besitzen, welcher man seine Haut nicht gern als Speisetafel bietet. Man fügte sich dieser meiner Entscheidung gern und bemächtigte sich eines fetten Hammels, dessen Bestimmung es war, die Ankunft des ‚Emir aus dem Abendland‘ leider mit seinem Leben zu bezahlen.
    Daß unser Äußeres diesen Leuten imponierte, war gar kein Wunder, denn wir waren gegen sie wie Prinzen gekleidet und, so was man sagt, bis an die Zähne bewaffnet. Sie sahen meinen langen Bärentöter, den Henrystutzen, in welchem, doch ohne daß sie es wußten, fünfundzwanzig Schüsse steckten, das Bowiemesser und die beiden Revolver. Halef hatte seine hübsche Flinte, ein Messer und zwei Pistolen. Dazu unsere Pferde! Dort, wo man den Mann nach seinem Pferd und

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