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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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seinen Waffen taxiert, mußte man uns für sehr vornehme und sehr tapfere Herren halten.
    Die Kirche stand in der Mitte der Hüttenreihe. Vor ihr wurde ein Platz als Speisesaal bestimmt. Wir beide setzten uns, den Alten in der Mitte, dort nieder, und die anderen bildeten von uns aus einen Kreis, auf dessen Mittelpunkte ein großes Feuer angezündet wurde, an welchem bald der ganze Körper des Hammels briet. Nebenan loderte ein zweites Feuer, an welchem die schweigsamen Frauen Kürbis-, Rüben- und andere vegetabilische Speisen zur Zukost zubereiteten. Schweigsam? Ja, denn sie lauschten während ihrer Arbeit aufmerksam zu uns herüber, um sich kein Wort von unserem Gespräch entgehen zu lassen. Und das war freilich hochinteressant.
    Zunächst nannte uns der alte Kiaja die Namen seiner Leute; ich gab mir keine Mühe, sie alle zu merken. Dann erzählte er von den Erlebnissen der Dorfbewohner. Diese waren traurig im höchsten Grad, so daß mein ganzes Mitleid rege wurde. Auch Halef griff oft nach der Stelle seines Gürtels, wo die Nilhautpeitsche hing, und rief:
    „Wäre ich dabei gewesen, diese Kerls hätten alle meine Karbatsch bekommen!“
    Dann nahm der gute Hadschi Gelegenheit, einiges von unsern Erlebnissen zu erzählen. Er tat dies in seiner bilderreichen Weise, so daß die Zuhörer uns für die größten Helden halten mußten. Ich hinderte ihn nicht daran, weil sie Vertrauen zu uns bekommen sollten, denn ich hatte mir im stillen vorgenommen, ihnen bei der Befreiung ihrer fortgeschleppten Verwandten behilflich zu sein.
    Nachher wurde gegessen. Wir beide erhielten den fetten Hammelschwanz als Ehrenteil. Während wir noch beim Essen saßen, sah ich drüben im Schiitendorf mehrere Lichter auftauchen, welche geschäftig hin und her huschten. Als ich nach dem Grund fragte, antwortete mir der alte Salib:
    „Sie feiern heut da drüben den Abend der Fatima, der Erretterin aller Frauen und Mädchen aus der Gefahr. Schir Saffis Tochter wurde mit gefangen; sie befindet sich also auch als Sklavin bei den Akra-Kurden. Da die Schiiten morgen gegen diese ausziehen wollen, so läßt Schir Saffi heute abend Fatima bitten, ihm beizustehen, seine Tochter zu befreien.“
    „Das möchte ich sehen!“
    „Du wirst nicht – – – ah, da kommt er ja!“
    Ein Mann kam über den Bach herübergesprungen und blieb an unserem Kreis stehen. Er war weit besser gekleidet als die Christen. Sein Anzug bestand aus einem weißen Turban, blauer, gestickter Jacke, roten, weiten Hosen und persischen Halbstiefeln. In seinem Gürtel steckten zwei Pistolen und ein langer, krummer Handschar. Er richtete aus seinem blassen Gesicht die dunkeln Augen auf Halef und mich und sagte dann zu dem alten Salib:
    „Ihr habt Gäste bekommen? Wer sind diese Männer?“
    „Es sind sehr tapfere Krieger und große Helden. Dieser Effendi ist ein Emir aus Germanistan.“
    „Germanistan kenne ich nicht, also wird es ein kleines Dörfchen sein. Wenn diese Leute wirklich so tapfer wären, wie du sagst, so würden sie zu uns kommen und nicht zu euch, die ihr euch fürchtet, mit gegen die Kurden zu ziehen.“ Und, zu mir gewandt, fuhr er fort: „Wir werden nachher zu Fatima beten. Sie ist, wie du wissen wirst, die Lieblingstochter des Propheten, die Frau unseres Kalifen Ali und die Mutter Hassans und Husseins, welche die Sunniten ermordet haben, Allah verdamme sie! Wir beten zu ihr, wie die Christen zu ihrer Jungfrau beten, wenn eine unserer Frauen oder Töchter sich in Gefahr befindet. Sie wird Sakla, meine gefangene Tochter, aus der Gefangenschaft befreien. Wenn du mit beten willst, so komm nachher herüber!“
    Der Mann gefiel mir nicht, doch antwortete ich in höflichem Ton:
    „Wenn du es erlaubst, werde ich kommen, obgleich ich überzeugt bin, daß ihr vergeblich betet. Fatima ist nicht Gott; sie kann euch nicht helfen.“
    „Nicht?“ fuhr er auf, indem seine Augen mich anblitzten. „So bist du also auch so ein verfluchter Sunnit, der Hassan und Hussein verwirft?“
    „Ich bin ein Christ“, erklärte ich einfach.
    „Ein Christ? Was kannst du da von unserem Glauben und unserer Lehre wissen? Du mußt schweigen!“
    „Ich weiß wohl mehr davon als du, denn ich habe alle eure religiösen Bücher studiert, während du wohl kaum den Koran ordentlich kennst. Vor allen Dingen weiß ich, daß Fatima ein Weib war.“
    „Eure Jungfrau auch!“
    „Unsere heilige Marryam ist die Mutter Gottes; sie thront im Himmel bei dem Allmächtigen und Allgütigen und fleht

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