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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Art von Thron errichtet, zu dessen Seiten die Anwesenden ihre Lichter hingestellt hatten. Vor diesem Thron kniete Schir Saffi, und auf dem Sitz desselben lag, mit der oberen Kante an die Lehne gelegt, ein viereckiges Brettchen, auf welchem in roter Farbe und arabischer Schrift der Name ‚Fatima‘ stand. Jeder Schiit hielt seinen aus neunundneunzig Kugeln bestehenden Rosenkranz in der Hand. Die Mohammedaner pflegen bei jeder Kugel einen der neunundneunzig im Koran vorkommenden Namen Allahs auszusprechen.
    Jetzt hielt Schir Saffi eine kurze Rede, in welcher er Fatima anrief, ihnen zu helfen, seine Tochter zu erretten. Dann erhob er sich und breitete die Arme aus, um in langsamen Schlägen den Takt anzugeben, in welchem die Aufrufungen stattzufinden hatten. Ich hörte zu meinem Erstaunen die neunundneunzig Namen Allahs im Chor erschallen, doch in weiblicher Form, um sich auf Fatima zu beziehen, also: O Allbarmherzige, o Allerbarmende, o Allbesitzende, o Allheilige usw. bis zuletzt o Allerbende, o Allgerade, o Allgeduldige, o Fatima! Nach jedem Namen ertönte ein doppeltes, schrilles „Meded, meded – zu Hilfe, zu Hilfe!“
    Das war auch vom Standpunkt eines Mohammedaners aus eine Gotteslästerung. Fatima wurde an die Stelle Allahs gesetzt und ebenso wie dieser angerufen. Bei jedem Namen ließ man eine Kugel des Rosenkranzes durch die Finger gleiten und drückte ihn an die Brust, den Mund und die Stirn.
    Als der letzte Name genannt worden war, wurde von neuem begonnen. Ich hatte genug gesehen und schlich mich fort, denselben Weg zurück, auf welchem ich gekommen war. Leider fühlte ich mich so sicher, daß ich jetzt nicht mehr die nötige Vorsicht anwendete. Als ich an der vorletzten Hütte vorüber wollte, trat eine Frau hinter dieselbe, so daß wir fast zusammenstießen. Bei dieser Nähe mußte sie mich trotz der Dunkelheit sehen.
    „Ya Allah, gharib – o Allah, ein Fremder!“ schrie sie erschrocken auf.
    Ich sprang rasch fort, quer durch das Tal, über das Wasser und ging dann langsamer nach dem Christendorf. Als ich bei dem Feuer angekommen war und mich wieder neben Salib niedersetzte, sagte er:
    „Gott sei Dank, daß du wieder da bist! Ich habe Angst um dich gehabt, obgleich dieser dein treuer Hadschi Halef Omar uns so viel von dir erzählt hat, daß wir uns eigentlich nicht zu sorgen brauchten. Du bist doch nicht etwa gesehen worden? Wir hörten jemand laut rufen.“
    „Das war eine Frau, welche mich erblickte.“
    „O Himmel! Sie wird es Schir Saffi sagen, und er kommt gewiß, um dich zu bestrafen!“
    „Dazu gehörte ein anderer Mann, als er!“
    „Ja“, stimmte Halef bei. „Ich werde meine Peitsche zurechtlegen, Sihdi. Sobald er dich mit einem Wort beleidigt, bekommt er sie zu kosten!“
    „Keine Dummheit, Halef! Ich werde ganz allein mit ihm fertig. Du sagst kein Wort dazu! Wir sind Gäste dieser braven Männer. Willst du, daß hier Blut fließen soll, weil sie auf unserer Seite stehen müssen, wenn wir die Schiiten gegen uns aufbringen?“
    Er schwieg auf diese ernste Mahnung. Es kam so, wie der alte Salib gesagt hatte. Wir sahen bald darauf die Moslemin aus der Moschee kommen, und kaum fünf Minuten später erschien Schir Saffi an unserem Feuer.
    „Du warst drüben und hast uns belauscht?“ fuhr er mich wütend an. „Du, ein Christ, der Schweinefleisch frißt und von jedermann verachtet wird!“
    „Mäßige dich!“ antwortete ich ihm gelassen. „Wer wird verachtet? Weißt du nicht, daß bei den Anhängern der Sunna ein Schiit noch tiefer steht, als selbst der ärmlichste Jude?“
    „Hund!“ brüllte er, indem er sein Messer aus dem Gürtel riß. „Noch ein solches Wort, so ersteche ich dich!“
    „Und sage du noch einmal Hund, so fährt dir meine Kugel durch den Kopf!“ antwortete ich, indem ich aufstand und den Revolver auf ihn richtete.
    „Und meine Kugel auch!“ drohte Halef, dessen heißes Blut ihn nicht schweigen ließ. Er hatte seine beiden Pistolen in der Hand. „Meinst du, daß der berühmte Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi sich ungestraft von dir beleidigen läßt?“
    Da ließ Schir Saffi die Hand mit dem Messer sinken und fragte langsam und mich betroffen anblickend:
    „Kara – Ben – Nemsi? Etwa der Freund von Mohammed Emin, dem Scheik der Haddedihn?“
    „Ja.“
    „Der erst vor kurzem auch bei dem Stamm der Yussufi war und ihm gegen die Mir-Mahmalli-Kurden beigestanden hat?“
    „Ja.“
    „Dann kenne ich dich, denn ich habe von deinen Taten gehört. Du hast

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