30 - Auf fremden Pfaden
barmherzig.“
„Ja, selbst dieser Mensch erbarmt mich, aber nicht sein Leib, sondern seine Seele. Soll sie von hinnen fahren in das ewige Verderben, ohne daß es für sie auch nur eine einzige Möglichkeit noch gibt, einen einzigen, einzigen um Verzeihung flehenden Blick zum Himmel zu wenden?“
„Was sorgst du dich vergebens! Hast du die Macht, ihr diesen Blick zu öffnen? Es gibt nur einen, der diese Macht besitzt, der große, gute Manitou. Du hast mich gelehrt, ihm zu vertrauen; hast du verlernt, es selbst auch zu tun? Kümmere dich nicht! Das irdische Leben dieses Lästerers und Mörders ist dem unerbittlichen Gesetz der Savanne verfallen; über seine Seele aber wird Manitou bestimmen. Er ist von jetzt an nicht mehr ein geduldeter Gefährte für uns, sondern unser Gefangener, den wir den Pa-Utes auszuliefern haben, an denen er sich vergangen hat. Darum darf er nicht hören, was wir von jetzt an weiter miteinander sprechen.“
Auf Grund dieser Bemerkung fuhr er nach einer Pause des Nachdenkens in gedämpftem Ton fort:
„Winnetou wird euch jetzt sagen, auf welche Weise es uns möglich sein wird, die acht Gefangenen zu befreien. Dick Hammerdull und Pitt Holbers kennen die Stelle, an welcher die Pa-Utes lagern, die ich beschlichen habe. Es gibt da eine kleine Halbinsel, welche durch einen sehr schmalen Landstreifen mit dem Ufer zusammenhängt; auf diese Halbinsel sind die Gefangenen gebracht worden, weil sie da viel leichter bewacht werden können und eine Flucht von dort für unmöglich gehalten werden muß.“
„Ich kenne diese Halbinsel“, nickte Hammerdull. „Wir wollten sie zum Lagerplatze machen, sahen aber davon ab, weil es zu viel Stechfliegen da gab. Die Ränder waren mit Büschen bewachsen.“
„Das ist sehr richtig und wird uns die Befreiung der Gefangenen sehr erleichtern. Die acht Männer sind natürlich gefesselt, und es ist gar nicht daran zu denken, daß sie, um zu fliehen, in das Wasser gehen. Darum genügt ein einziger Wächter, welcher auf den schmalen Übergang zur Halbinsel postiert wird. Und sollte man so vorsichtig gewesen sein, zwei oder drei Krieger dorthin zu postieren, so kann uns das nicht hindern, denn die sind in einer Minute unschädlich gemacht.“
„Well! Ich bin überzeugt, daß wir drei und noch mehr Wächter schnell aus dem Weg schaffen; ebenso rasch haben wir den Gefangenen die Fesseln zerschnitten; aber was dann? Am Ufer lagern noch über zweihundertundfünfzig Indsmen, durch die wir uns ganz unmöglich schleichen können!“
„Das wollen wir auch nicht, denn wir werden auf dem Wasser entweichen.“
„Hm! Ist das nicht leichter gesagt als getan? Ich bin zwar überzeugt, daß die Kameraden alle zu schwimmen vermögen, aber sie werden die Arme und Beine nicht bewegen können, weil sie so lange Zeit gefesselt gewesen sind. Es ist auch gar nicht zu vermeiden, daß der eine rascher als der andre schwimmt; dadurch müssen wir auseinander kommen und längere Zeit aufeinander warten; inzwischen können uns die Indsmen einzeln wegfischen oder gar auslöschen.“
„Mein weißer Bruder hat nicht auf meine Worte geachtet; ich habe gesagt, daß wir auf dem Wasser entwischen wollen, nicht im Wasser. Wir werden nicht schwimmen, sondern ein Floß bauen. Sollte es ja nötig sein, in das Wasser zu gehen, so werden das nur zwei tun, nämlich Old Shatterhand und ich.“
„Ah, ein Floß! Aber ein Fahrzeug, auf welchem acht Personen fortgeschafft werden sollen, das muß so groß sein, daß die Indsmen es unbedingt merken werden, obgleich es heut nacht sehr dunkel sein wird, weil wir Neumond haben. Ist das nicht auch deine Ansicht, Pitt Holbers, altes Coon?“
„Wenn du denkst, daß Neumond ist, so hast du recht, alter Dick“, lautete die Antwort; „aber Winnetou wird schon wissen, was er will.“
„Ob er es weiß oder nicht, das bleibt sich nicht nur gleich, sondern das ist sogar sehr egal; aber ich bin auch vollständig überzeugt, daß er einen guten Gedanken hat. Was sagt denn Ihr dazu, Mr. Shatterhand?“
Da diese Frage an mich gerichtet war, so antwortete ich:
„Ich errate die Absicht unseres roten Bruders. Das Floß muß unbemerkt bleiben; es würde aber jedenfalls gesehen werden, wenn die Pa-Utes sich am Lagerplatze befänden; daher vermute ich, daß Winnetou die Absicht hegt, sie fortzulocken.“
„Mein weißer Bruder hat das Richtige getroffen“, nickte mir der Apache zu. „Die Pa-Utes müssen vom Lager fort.“
„Aber wodurch könnten wir sie dazu
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