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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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alle von den Sitzen auf, glaubend, daß beide tot niederstürzen müßten; aber der Häuptling stand unverletzt und sagte hohnlachend:
    „Er traf mich nicht, denn ich stieß seine Hand auf die Seite, und es war nur erst das Pulver, keine Kugeln in den Läufen. Aber schaut den bleichen Hund! Was ist mit ihm geschehen?“
    Ja, was war mit Fletcher geschehen? Er hatte die Pistole fallen lassen und stand starr, die Hände auf die beiden Augen gedrückt; dann nahm er die Hände weg und hob den Kopf, als ob er gegen den Sternenhimmel sehen wolle, stieß einen schrillen, markdurchdringenden Schrei aus und warf sich auf die Erde nieder, in der er jammernd mit den Fäusten wühlte.
    „Uff, uff, uff!“ rief Winnetou. „Er wollte erblinden, wenn er schuldig sei, und hat sich jetzt das Pulver in die Augen geschossen. Das Präriegericht hat ihn verurteilt; aber der große Manitou hat ihn noch viel gerechter gerichtet. Diesem Flucher und Lästerer ist genau so geschehen, wie er selbst vom großen Geist gefordert hat. Winnetou, der Häuptling der Apachen, hat viel gesehen und erlebt, was andere nicht zu ersehen vermochten; vor diesem Gericht aber will ihm grauen. Howgh!“
    Er schüttelte sich wie vor Frost und wandte sich ab, um zu gehen. Es war so, wie er sagte: Fletcher hatte sich mit der Kugel in die Schläfe treffen wollen, aber weil Pats avat in demselben Augenblick nach der Pistole gegriffen hatte, war der Pulverschuß abgelenkt worden und ihm in die beiden Augen gegangen. Es ging mir wie Winnetou: mir graute, und ich entfernte mich, und zwar so weit vom Lager weg, bis ich das Jammern des von Gott Gestraften nicht mehr hörte. Als ich nach längerer Zeit zurückkam, war er inzwischen hinüber zu den Pa-Utes geschafft worden, deren Häuptling jetzt nicht mehr daran dachte, ihn schon heute an den Marterpfahl zu binden.
    So nötig der Schlaf uns allen war, ich konnte ihn lange nicht finden und wälzte mich vergeblich von einer Seite auf die andere, denn mir tönte immer und immer das Wort des Apachen in die Ohren: „Aber der große Manitou hat ihn noch viel gerechter gerichtet!“ Und als ich endlich doch in Schlummer fiel, war es mir im Traum, als ob die beiden Pistolenschüsse wieder und immer wieder ertönten.
    Aber war das wirklich im Traum? Oder wachte ich? Es waren wirkliche Schüsse gefallen, und ich vernahm ein hastiges Rennen und Rufen. Als ich aufsprang, sah ich das ganze Lager in Bewegung und erfuhr auf mein Befragen, daß Old Cursing-Dry entflohen sei.
    War das möglich? Er, der Erblindete und zugleich Gefesselte entflohen? Das konnte ich doch kaum glauben! Oder sollte er nicht wirklich oder nicht ganz blind gewesen sein? Da kam Dick Hammerdull mit Pitt Holbers gelaufen und rief mir zu, indem sie mich noch nicht ganz erreicht hatten:
    „Wißt Ihr es schon, daß der alte Fletcher fort ist, Sir?“
    „Ich hörte es, kann es aber nicht glauben.“
    „Ob Ihr es glaubt oder nicht, das bleibt sich vollständig gleich, aber es ist so, Mr. Shatterhand.“
    „Ist er denn nicht gefesselt gewesen?“
    „Gefesselt war er.“
    „So haben die Pa-Utes ihn nicht scharf genug bewacht?“
    „Das wird es wohl sein! Aber blind und gefesselt, da denkt man doch, ihn ganz sicher zu haben!“
    „Aber wie konnte er denn fort? Es muß ihm jemand geholfen haben!“
    „Natürlich hat ihm einer geholfen, sein Sohn, denn der ist auch verschwunden. Einer der Außenposten hat zwei Männer gesehen, welche miteinander auf einem Pferd saßen.“
    „So haben die beiden Fletchers nicht Zeit gefunden, ein zweites Pferd heimlich wegzustehlen. Ist denn der Sohn nicht mehr gefesselt gewesen?“
    „Ob gefesselt oder nicht, das ist ganz und gar egal, aber man hat ihm die Riemen abgenommen, weil er darum gebeten und dazu versprochen hat, ruhig zu sein. Man hat nicht geglaubt, ihm mißtrauen zu müssen, denn sein Vater war den Pa-Utes ja abgeliefert worden und befand sich sicher in ihren Händen.“
    „Welche Unvorsichtigkeit! – Nach welcher Richtung sind sie denn fort?“
    „Es ist ein Südposten gewesen, an dem sie sich vorüberschleichen wollten; er hat sie angerufen und, als sie nicht antworteten, zweimal auf sie geschossen. Er hatte ein Doppelgewehr, denn es war einer von meinen Gefährten.“
    „So kommt! Ich will hin, wo er gestanden hat. Vielleicht läßt sich trotz der Dunkelheit eine Spur entdecken.“
    Wir gingen. Viele andere schlugen mit uns die gleiche Richtung ein; aber bald hörten wir weit vorn die laut befehlende Stimme

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