30 - Auf fremden Pfaden
trug eine Wintermaske, wie wir alle, damit wir das Gesicht nicht erfrieren.“
„Hast du dir nicht wenigstens seine Gestalt gemerkt?“
„Härra, die Nacht Samelands währt drei Monate lang, und sie täuscht das Auge. Das Nordlicht war so unruhig und seine Flammen zuckten über den Schnee. Wer kann da genau sehen! Der Mann war gekleidet wie andere Männer; ein Samelats sieht wie der andere aus, wenn er nicht in seinem Zelt sitzt. Ich würde ihn nicht wiedererkennen. Wenn du mir nicht hilfst, Härra, so kann ich den Dieb niemals entdecken, und mein glänzendes Silber ist verloren.“
„Ich? Wie sollte ich dir helfen können, da dir sogar die Soldaten des Königs nichts nützen. Ich kenne dieses Land ebensowenig wie sie und habe ja nicht einmal die Macht, welche sie dem Diebe gegenüber besitzen.“
„Härra, du irrst! Dein Kopf ragt über alle Samelatjit (Accusativ Plur. von Samelats, der Lappe) hinweg und nie hat man hier solche Waffen gesehen, wie die deinigen sind. Ein jeder Dieb wird sich vor dir fürchten. Auch bist du in fernen, wilden Ländern gewesen, wo du gelernt hast, die Spur eines Flüchtlings so zu lesen, wie wir es nicht vermögen. Du selbst hast uns ja erzählt von den bösen Indatjit (Indianern), denen ihr gefolgt seid über Berg und Tal, um ihnen die Felle wieder abzunehmen, die sie euch gestohlen hatten. Ich werde dich auf die Spur des Diebes führen und ich weiß, wenn du sie betrachtest, so kann er uns nicht entgehen.“
Hm! Ein solches Vertrauen hatte ich nicht erwartet. Ich war blamiert, wenn ich auf seinen Wunsch einging, ohne es rechtfertigen zu können; darum antwortete ich:
„Attjats (Väterchen), ich bin noch zu kurze Zeit im Samelanda; ich glaube wirklich nicht, daß ich dir helfen kann.“
Da blinzelte er mich mit seinem schlausten Lächeln an und sagte:
„Härra, du kannst, denn du hast ja gesagt, daß du ein Doktor bist!“
„Meinst du etwa, daß ein Doktor auch gelernt haben muß, Diebe zu fangen?“
„Willst du mit mir scherzen? Ein Doktor hat alles gelernt; ein Doktor kann alles, wenn er nur will!“
„Wer hat dir das gesagt?“
„Das braucht mir niemand zu sagen, weil wir es ja alle wissen. Einem Doktor muß alles gelingen, denn er hat gelernt, sich ein Saiwa tjalem (Talisman, Amulett) zu machen, und wer ein gutes Saiwa tjalem bei sich trägt, dem kann nichts mißglücken, so lange er dafür sorgt, daß es unverletzt bleibt.“
„Du irrst“, sagte ich unter mißbilligendem Kopfschütteln. „Es gibt kein Amulett und kein Saiwa tjalem, welches eine solche Kraft besitzt.“
„Härra, du willst es bloß nicht zugeben! Ich selbst habe ja eine solche Schrift gehabt.“
„Von wem?“
„Von einem Doktor, den ich in Lulea am Meere traf. Er war ein sehr kluger Mann; er gab mir Arznei für meine kranken Augen, und als ich ihn dann um ein Amulett bat, schrieb er es mir sogleich, ohne Geld dafür zu nehmen. Ich habe es viele Jahre auf der Brust getragen und in dieser Zeit niemals ein Unglück gehabt. Nun aber hat es der Schweiß zerfressen, und darum ist seine Wirkung fast ganz verloren gegangen. Wäre es nicht so zerrissen, so wäre ich sicher nicht in die Spalte geraten. Ich werde dich bitten, mir ein neues zu schreiben.“
„Wo hast du es?“
„Hier“, antwortete er, auf die Brust deutend.
„Darfst du es mir zeigen?“
„Der Doktor hat mir dies nicht verboten. Willst du es sehen?“
„Ja.“ Er langte unter seine Kleider und zog ein zusammengelegtes Stück Leder hervor, welches an einer Schnur hing und ein vielfach zusammengefaltetes Papier enthielt, welches er mir entgegenreichte.
„Hier“, meinte er. „Kennst du die Zeichen, welche darauf stehen?“
Die mit Bleistift geschriebenen Züge waren sehr verwischt; aber dennoch erkannte ich auf den ersten Blick, daß es deutsche Worte waren. Meine nicht geringe Überraschung ging bald in ein lustiges Lachen über, als ich folgende Worte enträtselte:
‚Am Ganges duftet's und leuchtet's
Und Riesenbäume blühn,
Und schöne, stille Menschen
Vor Lotusblumen knien.
In Lappland sind schmutzige Leute,
Plattköpfig, breitmäulig und klein;
Sie kauern ums Feuer und backen
Sich Fische und quäken und schrein.
Ein Spaßvogel.‘
Also diese bekannten Verse von Heinrich Heine hatte der gute Vater Pent jahrelang auf seinem Herzen getragen und ihnen wunderbare Kräfte zugetraut! Der neckische Kobold des Dichters hatte den letzteren überlebt, um nach dessen Tod sogar bis hinauf in die Lappmarken seinen Spuk zu
Weitere Kostenlose Bücher