305 - Nach Millionen von Jahren
sich neben ihn zu der reglosen jungen Frau. Sein Scheitelkamm schillerte hellviolett und signalisierte höchste Aufregung. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Fassungslosigkeit und großem Schmerz.
»Manil’bud«, flüsterte er heiser.
Nur dieser eine Name fiel in die Stille. Ein Name, den Matt vor dreieinhalb Milliarden Jahren irdischer Zeitrechnung zuletzt gehört hatte. Und er begriff.
***
Wenige Minuten zuvor
Matthew Drax. Der Name ging Gilam’esh nicht mehr aus dem Kopf, als er seine und E’fahs Transportqualle zum frisch eingeweihten Hydrosseum lenkte. Zu unglaublich war die Geschichte, die ihm und Maddrax damals widerfahren war. Matt hatte eine Reise zum Mars unternommen und dort eine Anlage der Hydree betreten, über die sein Geist dreieinhalb Milliarden Jahre in die Vergangenheit geschleudert wurde – geradewegs hinein in seinen Kopf! [4] Gilam’esh hatte zu diesem Zeitpunkt bei einem Ritual das Blut eines Wulroch-Bullen getrunken und erst geglaubt, vom Blutrausch befallen zu sein. Doch dann musste er akzeptieren, dass ein Zeitreisender vom Planeten Ork’huz – der Erde – in seinem Kopf gelandet war – und dort auch die nächsten hundert Rotationen [5] blieb. Erst hatte Gilam’esh versucht, den fremden Geist zu verdrängen, doch letztlich verdankte er ihm viel. Durch ihn war er zum führenden Wissenschaftler seines Volkes geworden.
Gilam’esh stoppte die Qualle vor den vier spindelförmigen Gebäuden im Herzen der Stadt, die so ganz anders aussahen als die üblichen Hydrosseen. Wie überdimensionierte Seenadeln ragten sie in die Höhe, verbunden durch breite Verbindungsröhren auf verschiedenen Ebenen. Ringwulste in leuchtenden Blautönen umgaben die Gebäudeteile.
Sie hatten das ehemalige Zentrum Gilam’esh’gads durch Zufall und E’fahs Erinnerungen entdeckt, von Algen befreit und restauriert. Nun strahlte es im Licht der Mikroben, als sei es aus vier Perltürmen geformt. In schwindelerregender Höhe saß je ein Haupt- und Kontrollraum. Zwei Etagen tiefer befanden sich die Besucherräume.
Gilam’esh schwamm mit E’fah zum Haupteingang auf der mittleren Ebene und erreichte über eine aufsteigende Druckröhre das Stockwerk des mit Luft gefüllten Besucherraums. Seine Kiemenatmung stellte sich automatisch auf Lungenatmung um. Er wechselte einen Blick mit E’fah, drückte ihre Hand und ging als Erster hinein. Schon nach wenigen Schritten wurde er langsamer und blieb schließlich stehen. Was er sah und spürte, verwirrte ihn.
Matt war nicht allein. Bei ihm befand sich eine Menschenfrau mit blonden Haaren und knabenhaftem Körper. Sie wirkte ausgezehrt, krank und zugleich... vertraut. Gilam’esh legte den Kopf schief und versuchte das Gefühl zu fassen, das sein Herz berührte. Kälte und Hitze überkamen ihn, als er etwas wahrnahm, das nicht sein durfte. Nicht sein konnte .
Die blonde Frau stand wie in Zeitlupe auf, verdrehte die Augen und sackte in sich zusammen. Er sprang vor, kniete sich neben sie und berührte ihren Arm. Ein Strudel öffnete sich, der sich rasend schnell drehte und erweiterte, wie ein Tor in die Vergangenheit. Sein Geist drohte hineinzustürzen. Der Wunsch, der Menschenfrau zu helfen, wurde übermächtig. Er musste sie stabilisieren. Mit seiner mentalen Gabe griff er nach ihrem Lebensfunken – und erschrak bis ins Innerste.
»Manil’bud«, flüsterte er.
Aber wie konnte das sein? Manil’bud war tot !
Der Schmerz, als sie vor über dreieinhalb Milliarden Jahren von seiner Seite gerissen wurde, flammte explosionsartig in ihm auf. Er verging in der Hitze des Verlustes. Der Raum um ihn verlor seine Farben. Dunkelheit umgab ihn. Er sank in ein Meer aus Erinnerungen, in das seit langer Zeit kein Lichtstrahl mehr gedrungen war...
***
Vergangenheit, Rotgrund
Gilam’esh blickte mit glühenden Blicken hinunter in die Senke mit dem kleinen See. Das Auge der Schöpfer senkte sich. Bald würde die Finsternis anbrechen. Die Zeit drängte.
Wir sind nur zu dritt , flüsterte der Matt-Geist in ihm. Brich die Verfolgung ab. Das ist Wahnsinn!
»Halt dich da raus«, gab Gilam’esh halblaut zurück. Angst kroch in seine Brust und versteifte seine Schuppen. Der Fremde sollte schweigen, wie er es sonst tat. Aber er ahnte schon, dass sein zweites Ich ihm den Gefallen nicht tun würde. Immer wenn er besonders riskante Entscheidungen traf, mischte Matt sich in seine Gedanken ein. Als ob er ihn jemals würde aufhalten können! Auch dieses Mal versuchte er es hartnäckig.
Du
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