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305 - Nach Millionen von Jahren

305 - Nach Millionen von Jahren

Titel: 305 - Nach Millionen von Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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war Manil’bud. Geboren auf Rotgrund zur Zeit der lachenden Schöpfer. Endlich ergab alles einen Sinn. Auch wenn ihr noch immer viele Erinnerungen fehlten, begriff sie, dass sie eine Geistwanderin gewesen sein musste. Einige Hydree hatten über diese Fähigkeit verfügt, so wie Gilam’esh. Manche besaßen sogar die Gabe, ihren Geist ohne Körper wandern zu lassen, so wie...
    »Gilam’esh«, brachte sie leise hervor und sah sich in dem leergepumpten Krankenzimmer um. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht in einem Bett, sondern in einer Art großer Hummerschale lag, die mit bionetischem Material aufgefüllt war. Es fühlte sich an wie eine bequeme Matratze.
    Ein Schatten regte sich neben dem Fenster, das ihr einen freien Blick auf die Stadt mit ihren schwindelerregenden Gebäuden gewährte. Anemonenartige Gebilde, riesige Seenadeln und weitverzweigte Türme bildeten mitten im glasklaren Wasser die skurrilste Metropole, die sie je in ihrer bewussten Erinnerung erblickt hatte. Ein rotgoldener Fächerfisch glitt langsam an der Scheibe vorbei. Keine zwei Schritte von ihm entfernt schälten sich aus dem Halbdunkel des Raumes die Umrisse eines Hydriten. Auch wenn es ein neuer Körper war, in dem sein Geist nun wohnte – sie hatte ihn sofort erkannt.
    Er sah sie nachdenklich an. »Ich hätte nie geglaubt, dich noch einmal zu sehen. In meinen kühnsten Träumen nicht«, sagte er mit leiser Stimme.
    Sie schwiegen. In Xij stiegen Bilder auf. Sie befand sich wieder auf dem Mars, als Schülerin und Dienerin des großen Gilam’esh, des Ersten Kriegsmeisters von Tarb’lhasot, der zugleich »Meister des Tunnelfelds« genannt wurde und der bei seinem Volk Hochachtung genoss.
    Gilam’esh kam näher. Seine Hände streckten sich nach ihr aus. Gleichzeitig sah sie in seinem Gesicht etwas wie Angst. Fürchtete er sich vor ihr? Fühlte auch er sich überfordert, wie erschlagen von der bizarren Situation?
    »Es ist so lange her«, flüsterte sie klackend in der Sprache der Hydriten. »So entsetzlich lange her.«
    Er sank auf den Rand der Hummerschale. Sein Gesicht verschwamm vor ihrem Blick. Schwindel stieg in ihr auf, als würde sie auf einem schwankenden Schiff stehen.
    Seine Arme umschlossen sie. Sie drückte sich an ihn, fühlte und roch seine schuppige, leicht salzige Haut. Seine Mentalkraft umfloss sie wie ein schützender Mantel. In ihrem Kopf hörte sie geflüsterte Worte.
    Manil’bud, Kttja tkje aklan’nok. Wie sehr habe ich dich vermisst.
    Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie sah weitere Bilder vor ihrem inneren Auge aufsteigen, Erinnerungsfetzen an frühere Existenzen. Da war der Rotgrund, dann eine Meeresbestie, die sie verschlang – der erste Körper, in den sie gewechselt war? –, dann ein Kloster, himmelstürmende Berge vor einem silbernen Mond, ein Mönch, ein Wolfsjunges, ein Mann, der zugleich Frau war... Ein Bild jagte das nächste.
    Sie schüttelte den Kopf. Alles ging durcheinander. Zu viele Erinnerungen, viel zu viele...
    »Ich... ertrage es nicht«, keuchte sie auf. Sie wollte noch mehr sagen, wollte erklären, wie sie sich fühlte und was sie in den vergangenen Jahrmillionen erlebt hatte. Aber es war zu gewaltig, um es in Worte zu fassen. Sie stöhnte auf und hob abwehrend die Hände.
    »Was hast du?« Erschrocken hielt er sie fester.
    Sie begann zu zittern. Ihr wurde übel. Der Schwindel nahm zu. Mit beängstigender Geschwindigkeit raste sie in einen mentalen Sturm hinein, der sie zu verschlingen drohte. Das Zittern wurde zum Zucken. Ihre Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander.
    »Bel’ar!«, rief Gilam’esh aufgeregt. »Bel’ar, komm schnell!«
    Aus den Augenwinkeln sah Xij eine kleine Hydritin in den Raum eilen und sich über sie beugen. Ein Gerät, das wie ein toter Fisch aussah, wurde an ihren Hals gepresst. Es fühlte sich an, als würde der Fisch sie beißen.
    Xij versuchte verzweifelt, etwas zu sagen. Wut und Hilflosigkeit überspülten sie. Was sollte das alles? Sie war keine Hydree, verflucht! Kein schuppiges Fischwesen mit Dornen, Scheitelknorpel, Wellenkamm und spitzen Zähnen. Sie war ein Mensch ! Ein Mensch mit weicher Haut. Xij Hamlet! Xanthippe meinetwegen! Was hatte dieses nach Salz stinkende Ding an ihrer Seite verloren? Es sollte verschwinden!
    Der Raum begann um sie zu rotieren. Neue Bilder zuckten wie Gewitterblitze in ihrem Geist. Der Sturm heulte. Es gab keinen Halt, nur den Tod. Immer wieder den Tod. Sie wurde gefressen, zerrissen, gefoltert, erstochen, erschossen,

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