305 - Nach Millionen von Jahren
Sie hätte am liebsten vor Glück laut geschnalzt. Endlich würde er ihr gehören, nur ihr. Von diesem Lichtend an würde sie ihn nie wieder gehen lassen.
***
Gilam’esh ’ gad
Gilam’esh berührte die bionetische Schaltung am Gebäudeeingang. Der Zugangsbereich wirkte wie ein undurchdringlicher Algenteppich, doch er bestand ebenso wie die Wände des muschelförmigen Gebäudes aus bionetischem Material. Zögernd verharrte er, als der Teppich lautlos auseinanderglitt. Zum ersten Mal fühlte er sich nicht zu Hause in seinem eigenen Heim.
Seitdem er Hykton verlassen hatte, lebte er mit E’fah in dieser hydritischen Villa, die neben einem eigenen Aquarienraum einen großen Garten aus den erlesensten Nutz- und Zierpflanzen beherbergte. In liebevoller Arbeit hatten sie aus der Ruine gemeinsam einen Ort geschaffen, der Wohnlichkeit und Geborgenheit ausstrahlte.
Nur in diesem Moment tat er das nicht. Gilam’esh fühlte sich wie ein Eindringling. In Gedanken war er E’fah untreu geworden, und er fürchtete sich vor der Begegnung mit ihr. Auch nach langen Monden ihrer gemeinsamen Zeit vergaß er nie, was sie als ägyptische Herrscherin Nefertari getan hatte. In E’fah loderte ein dunkles Feuer, das sich tief in ihr verbarg. Hatte er es neu entfacht, als er auf Manil’bud traf?
Er richtete den Scheitelkamm auf. Zu zögern wie ein Junghydrit brachte ihn nicht weiter, und es lag unter seiner Würde. Mit einem innerlichen Ruck setzte er sich in Bewegung, durchquerte die Vorhalle mit den kunstvoll eingeritzten Wandbildern und schwamm in den Wohnraum ein. Alle Mikroben leuchteten. E’fah musste ihn gehört haben, denn sie erwartete ihn aufrecht im Raum treibend. Licht gleißte um ihren Körper und winziges Zuchtplankton umtanzte sie wie staubgroße Sterne. Sie erschien ihm wunderschön, als sie ihm streng, mit einem traurigen Zug um die Augen, entgegenblickte.
»Warst du bis eben bei ihr?«
»Ja«, klackte er nur. Mehr nicht. Es verwirrte ihn selbst noch zu sehr, auf Manil’bud getroffen zu sein. Er fand keine Worte, ihr zu erklären, was in ihm vorging.
E’fah strich sich über das Gewand aus winzigen Muscheln, das hauteng an ihrem Körper lag. Ihm schien, als würde sie nach Halt suchen. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
Draußen nahm das Licht der Mikroben ab und die bionetische Scheibe wurde milchig. Der Abend hielt Einzug in Gilam’esh’gad, doch an Ruhe und Frieden konnte er dabei nicht denken. Tief in sich suchte er nach Worten, ihr auch nur ansatzweise verständlich zu machen, was er fühlte. Er fand sie nicht. Alles, was er in seinem Geist erblickte, war das Gesicht Manil’buds mit den türkisfarbenen Augen.
Es war E’fah, die nach geraumer Zeit die Stille brach. »Liebst du sie?« Mehr fragte sie nicht.
»Ich...« Und wieder suchte er vergeblich nach Worten. Es gab keine Antwort in ihm. Das Wiedersehen war zu frisch, der alte Schmerz des Verlustes zu schnell heraufgestiegen. Sein Scheitelkamm schwoll an und erschlaffte. Die Hände schlossen und öffneten sich, als wäre er ein bionetisches Geschöpf mit einer Fehlfunktion.
E’fahs Stimme klang sachlich. »Du musst herausfinden, wen du liebst. Solange du das nicht weißt, habe ich in deiner Nähe nichts verloren.« Sie wandte sich abrupt ab und verschwand in der Schlafkammer.
Gilam’esh wäre es lieber gewesen, sie hätte einen ihrer Wutanfälle bekommen. Damit konnte er besser umgehen. Ihre Kühle erschreckte ihn mehr als jedes laute Wort.
Er trieb im Wasser und hörte, wie sie Aufbewahrungsbehälter öffnete und schloss. Die Geräusche ließen keinen Zweifel zu. Sie packte ihre Sachen. Er wollte sie bitten zu bleiben. Er fühlte sich furchtbar durcheinander und brauchte sie. Aber er schwieg. Vielleicht war es wirklich besser, wenn er eine Zeitlang allein blieb, um zur Ruhe zu kommen.
Es dauerte nicht lange, bis E’fah wortlos ging, zwei große Bionetik-Kisten mit sich nehmend. Ihr Auszug verlief in aller Stille. Ohne Abschied verließ sie die Muschelvilla.
Erschöpft sank Gilam’esh auf einen Sitz, der sich automatisch an seine Körperform anpasste. Gedankenverloren schaute er auf die milchige Sichtfront. Seine Zuflucht, sein Heim, war leer geworden.
***
»Ich weiß, dass du lügst.« Matt ließ Pozai’don nicht aus den Augen. »Obwohl du erst kürzlich in einen neuen Klonkörper umgezogen bist, hast du dir diesen Rohling bringen lassen. Das sehe ich dir an.« Einmal mehr kam es ihm zugute, an die hundert Jahre in
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