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306 - Ein Hort des Wissens

306 - Ein Hort des Wissens

Titel: 306 - Ein Hort des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.«
    Von der Seite beobachtete er Sir Leonard. Das schmale, kantige Gesicht des bald sechzig Winter Älteren wirkte fahl und hohlwangig. Die dicken Adern, die unter der Pergamenthaut seines kahlen Schädels verliefen, waren weniger blau, als Rulfan es in Erinnerung hatte, und die roten Augen lagen noch tiefer in ihren Höhlen als sonst. Wie ein alter Mann, der eine schwere Krankheit hinter sich hatte, wirkte Sir Leonard. Und war es nicht genau so?
    »Ja, eine Krankheit«, bekräftigte Rulfan. Sein Vergleich gefiel ihm immer besser. »Eine Krankheit wie die Pest – so musst du das sehen, Vater. Niemand ist verantwortlich für die Krankheiten, die er bekommt.«
    Leonard Gabriel lachte bitter und verächtlich auf. »Bist du da ganz sicher, mein Sohn? Ich nicht.«
    Schlagartig begriff Rulfan: Sein Vater machte sich nicht nur Vorwürfe, weil er über so viele Monde hinweg Mutters Sklave gewesen war – er verachtete sich dafür. Vielleicht hasste er sich sogar.
    Rulfan starrte über das stark ausschlagende Lenkrad hinweg ins Gras der Hügelflanke, die hinauf er den uralten Jeep jetzt steuerte. Ein Kloß schwoll in seinem Hals. Welches Kraut war gegen Selbstverachtung und Selbsthass gewachsen? Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, sein Vater könnte zerbrechen an der bösen Erfahrung, die hinter ihm lag; ähnlich wie Jenny Jensen zerbrach, wenn kein Wunder geschah.
    Ein Presslufthorn ertönt hinter ihnen. Die grölende Lautfolge schien die Luft zu zerreißen, und Rulfan zuckte zusammen. Er blickte mit gerunzelter Stirn in den Rückspiegel. Meinhart Steintrieb hing halb aus dem offenen Seitenfenster des Führerhauses seines Schleppers und winkte in die Landschaft hinein. Und wieder das nervtötende Presslufthorn.
    Für einen Moment fragte Rulfan sich, vor welcher Gefahr sein neu gewonnener Freund ihn warnen wollte, doch dann sah er im Rückspiegel den hochgereckten Daumen und das lachende Gesicht des Technikfreaks und verstand: Der Mann verabschiedete sich von seiner Heimat, weiter nichts.
    »Ahnst du überhaupt, wie sich das anfühlt?«, sagte sein Vater düster. Das Presslufthorn schien er gar nicht gehört zu haben. »Ich habe mein Leben lang getan, was ich wollte. Ich habe es mir mit der gesamten Community von Salisbury verdorben, weil ich meinem eigenen Kopf gefolgt bin. Ich habe Expeditionen geleitet, ich war Octavian, ich war Prime, ich habe die Überlebenden nach der elektromagnetischen Katastrophe angeführt. Und plötzlich finde ich mich als willenloser Sklave einer mentalen Macht wieder, die mir jeden Schritt diktiert.« Er presste die Handballen an die Stirn und schüttelte den Kopf. »Nein, nein – du weißt nicht, wie sich das anfühlt, Rulfan. Niemand kann das wissen, der es nicht selbst erlebt hat.«
    Was sollte Rulfan sagen? Vermutlich hatte sein Vater recht. Schweigend steuerte er den Jeep zur Hügelkuppe hinauf und versuchte sich hineinzufühlen in einen Mann, der seiner Willensfreiheit beraubt worden war. Gar nicht so einfach.
    »Ich war ein freier Mann mit einer gesunden Portion Eigensinn und bin zur Marionette geworden.« Sir Leonards Stimme brach beinahe. »Ich schäme mich. Ich schäme mich vor dir, vor der ganzen Welt, und am allermeisten schäme ich mich vor mir selbst.«
    Rulfan stoppte den Jeep auf dem Hügelkamm, weil er im Rückspiegel sah, dass der Tross sich durch den Anstieg gar zu weit auseinander gezogen hatte. Sein Vater betrachtete grübelnd den Stumpf seines fehlenden Ringfingers.
    Rulfan wusste inzwischen, dass Maddrax den Finger samt Ring abgebrochen hatte, als Sir Leonard noch versteinert gewesen war. Mit dem Siegelring am steinernen Finger hatte er den Demokraten in London beweisen wollen, dass die Schatten auch den Prime von Salisbury versteinert hatten.
    »Wäre ich doch eine steinerne Statue geblieben.« Sir Leonard rieb sich den Fingerstumpf. »Oder wäre ich wenigstens tot wie Lady Victoria.«
    »Genug jetzt!« Rulfan packte seinen Vater bei den Schultern und schüttelte ihn. »Schluss mit dem Selbstmitleid! Hör endlich auf, um dich selbst und deinen Schmerz zu kreisen! Schau auf mich zum Beispiel: Ich bin so glücklich, dich wieder gefunden zu haben, Vater! Ich will, dass du bei mir bleibst. Ich habe mir ein großes Ziel gesetzt, begreifst du das nicht? Ich will einen Hort des Wissens aufbauen für alle Männer und Frauen, denen die Zukunft der Menschheit am Herzen liegt! Und dazu brauche ich dich!«
    Sir Leonard stierte ihn aus seinen

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