31 - Und Friede auf Erden
legte er die Hände zusammen wie ein Kind, welches sich über etwas freut, und sprach in frohem Ton weiter:
„O nein, o nein; soweit der Himmel reicht, erklingt noch heut dein großes Liebeswort, und jeder Tag, der aus dem Morgen steigt, verkündet es der Menschheit weiter fort. Du hast gelebt – zu unserer Seligkeit; du hast geliebt – geliebt die ganze Welt; im Leben der Geringste deiner Zeit, bist du im Lieben ewig, ewig Held!“
Trotz seiner großen Schwäche hatte er seine Stimme zum Ton der Begeisterung erhoben. Das schien ihn angegriffen zu haben; er schloß die Augen, welche er offen gehabt hatte, und lag längere Zeit ohne Wort und Bewegung da. Dann sah ich, daß er die Hand erhob und sie bewegte, als ob er jemand zu sich herwinke. Dabei sagte er:
„Gib mir die Hand! Ich will dein eigen sein; du hast mich früher ja so oft geführt. Ich handle falsch, ich gehe irr allein; das hab ich, als du fehltest, ja gespürt. Du gingst zwar fort, in jenes Christenland, wo auch die seligen Heiden Christen sind, doch ist dir ja der Weg zu mir bekannt; o komm, o komm, du lichtes Himmelskind!“
Wer war es, der ihm in Gestalt seiner Frau vorschwebte? Ein Truggebilde, ihm vom Traum, vom Fieber, vom Wahnsinn vorgetäuscht? Er sprach mit diesem Wesen in kurzen, abgebrochenen Sätzen und so leise, daß ich nichts verstehen konnte. In den Zwischenpausen lauschte er, als ob er Antwort höre. War es die Hand des Traumes, des Fiebers, des Wahnsinns, welche alle Spuren der Qual, des Leides aus dem armen, eingefallenen Gesicht strich? Es lag so rührend ergeben, so zufrieden lächelnd da, fast selbst wie eine Vision, auf dem hellen, weichen Kissen! Erst nach längerer Zeit verstand ich wieder, was er sagte, ein bittendes Wort:
„O, falte mir die Hände jetzt; ich will zum Vater treten. Ich habe sein Gebot verletzt und muß um Gnade beten.“
Ich sah gespannt zu ihm hin. Seine Hände näherten sich einander; sie falteten sich, aber nicht als ob er dies selbst tue, sondern als ob sie ihm, Finger um Finger, von einer mir unsichtbaren Person zusammengelegt würden. Dann flüsterte er:
„Ich danke dir; es ist geschehen; du gabst mir frommes Zeichen und sollst, um beten mich zu sehn, mit mir zum Himmel steigen!“
Nach diesen Worten war es mir, als müsse ich das Flügelrauschen derer vernehmen, welche, von mir ungesehen, herbeischwebten, um sein Gebet in Empfang zu nehmen und dorthin zu tragen, wo alle Gebete der Menschenkinder zum Herzen des Vaters klingen, um in demselben für ewig aufbewahrt zu werden. Auch ich faltete meine Hände, denn es war ein heiliger Augenblick, so unwiderstehlich ergreifend, daß gewiß auch jeder andere an meiner Stelle ganz dasselbe getan hätte, was zu unterlassen mir unmöglich war.
„Amen!“ erklang es nach einiger Zeit. Er fügte noch ein zweites lauteres „Amen!“ hinzu, und dann – – – habe ich nie in meinem Leben ein Gesicht gesehen, auf welchem der innere Friede sich schöner und deutlicher ausgedrückt hätte als auf dem seinigen. Von jetzt an lag er still, und die ruhigen, regelmäßigen Atemzüge ließen vermuten, daß er eingeschlafen sei.
Es herrschte die tiefste Stille im Zimmer; auch draußen regte sich nichts; Waller lag wie tot. Auf dem Tisch, an dem ich saß, lag ein Buch. Es war mein ‚Am Jenseits‘, welches John Raffley für Miß Mary von der Jacht mitgebracht hatte. Sie hatte hier während des Wachens sehr oft darin gelesen und, wie ich bald erfuhr, Tsi auch. Ich schlug es auf, denn es gab ja sonst nichts weiter zu tun, und las.
Diese Lektüre versetzte mich in jene meinen Lesern wohlbekannte Wüstennacht, in welcher wir den geheimnisvollen ‚Sohn des Lichtes‘ zu uns sprechen hörten. Ich las mich nach und nach vollständig in die Stimmung hinein, aus welcher heraus ich dieses Buch geschrieben hatte. Auch die damalige Szenerie tauchte in meinem Innern auf. Ich las und sah und hörte zu gleicher Zeit, daß der blinde Münedschi mich aufforderte, mit ihm zu gehen; er habe mich zu führen. Ich folgte ihm. Mein Hadschi Halef und der persische Basch Nazyr gingen mit. Von einem Nichtsehenden und aber doch viel mehr als wir selbst Sehenden wurden wir vom Lagerplatz hinaus in die Wüste geführt, auf eine aus ihr aufragende, unwegsame Felseninsel. Oben angekommen, sagte er zu mir:
„Setz dich auf diesen Stein! Ich werde stehen bleiben, denn nur der Leib ermüdet, der Geist aber kennt keine Verringerung seiner Kraft, und nicht mein Körper, sondern dieser mein
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