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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gegenstände, auch die kleinsten, zu unterscheiden waren, zur offenen Balkontür herein, und ich war so froh, daß ich nur geträumt und nicht etwas Wirkliches gesehen hatte. Dennoch dachte ich darüber nach. Der Saulusruf paßte nicht für einen christlichen Missionar, aber wer kann von einem Traum die Überlegung verlangen, ob das, was er bringt, auch passend sei! Ich hoffte, bald wieder einzuschlafen, und schloß die Augen wieder zu, mußte aber gleich wieder an den Traum und seine zertrümmerten Tempel und Kirchen denken. Da stieg ein warnendes Wort und noch eins in mir auf; beide gestalteten sich zum Vers, dem sich ein zweiter, dritter und dann auch vierter zugesellte; sie fügten sich zur gereimten, vierzeiligen Strophe zusammen, und ich stand auf, um sie niederzuschreiben. Ich hielt diese Strophe für geeignet, den Anfang eines Gedichtes zu bilden, welches später in meine ‚Himmelsgedanken‘ aufgenommen werden konnte. Als ich im Mondschein die Zeilen auf das Papier geworfen hatte, legte ich mich wieder nieder. Die Nachtluft war nach dem Khamsin des vorigen Tages so erquickend kühl, ein Hochgenuß, den man im Schlaf nicht mehr bewußt genießen kann, und so nahm ich mir vor, zu der aufgezeichneten Strophe noch eine zweite, dritte und vierte zu schreiben. Ich zerlegte den Hauptgedanken in seine Teile und sann über die Verbindung zwischen ihnen nach, um zu einer festen, logisch klaren Disposition zu kommen; aber der unverwüstliche, alte und wohlbekannte Papa Morpheus schien sich aus den Tempeltrümmern meines Traumes heraus- und über mich hergemacht zu haben, und er wurde mit mir eher fertig, als ich mit meiner Disposition. Und er gab mich für dieses Mal nicht eher frei, als bis ein lautes Klopfen an meiner Tür ihn zwang, von mir hinweg und nach Griechenland zu eilen, wo im ‚hohen Olymp‘ noch einige unbeschädigte Tempel stehen sollen, welche die Nachwelt als Auszüglerwohnungen oder Altenteil der einst dort Thronenden zu respektieren hat.
    Ich sah nach der Uhr. Punkt acht! O wehe! Wahrscheinlich stand Sejjid Omar schon draußen!
    „Istan'ni schubai'je – warte ein wenig!“ rief ich so laut, daß er es hören konnte, und machte mich schnell fertig, ihn hereinzulassen.
    Obgleich ich mich im Zimmer befand, bemerkte ich, daß der Khamsin heut noch schärfer wehte als gestern, wenn auch jetzt am Vormittag noch nicht mit der erst später zu erwartenden Hitze. Als ich das Zeichen gab, daß der Wartende kommen könne, trat er ein. Ja, es war Sejjid Omar. Er hatte sein bestes Gewand angelegt und den Turban aufgesetzt, während er für gewöhnlich den roten Tarbusch trug. Das geschah in der Absicht, mir zu zeigen, daß die zu besprechende Angelegenheit für ihn eine ungewöhnlich wichtige sei. Nach Art der Araber, welchen bei dem hiesigen Klima ein Verschließen der Wohnräume nicht geläufig ist, ließ er, als er hereingekommen war, die Tür weit offenstehen. Draußen auf dem Korridor stand wahrscheinlich ein Fenster auf, und da meine Balkontür auch offen war, so entstand ein Luftzug, dessen plötzlicher Stoß so stark war, daß er die auf dem Tisch liegenden Papiere emporhob und eines derselben hinaus auf den Balkon führte, wo es zwar zunächst liegenblieb, aber so lebhaft bewegt wurde, daß es jeden Augenblick weiterfliegen konnte. Omar sprang sofort dienstfertig hinaus. Er hob es auf, betrachtete es und warf es dann in die Luft, die es wirbelnd mit sich nahm.
    „Es stand wohl nichts darauf?“ fragte ich.
    „O ja, es war beschrieben“, antwortete er.
    „Aber, warum hast du es da nicht hereingebracht, sondern weggeworfen?“
    „Es war ja nicht arabisch!“
    Er sagte das im Ton der unendlichsten Selbstverständlichkeit, daß alles nicht arabisch Geschriebene für das ganze Reich der Schöpfung vollständig gleichgültig und wertlos sei. Dabei lag auf seinem Gesicht eine solche Befriedigung, als ob es für mich gar keine Möglichkeit gebe, hierüber anders als er zu denken.
    „Höre, Omar“, belehrte ich ihn, „ich schreibe deutsch, aber trotzdem ist alles, was ich geschrieben habe, mehr wert, als wenn zum Beispiel du es arabisch geschrieben hättest. Auch das Papier kostet Geld, und dieses Blatt gehörte mir, aber nicht dir. Wie kommst du dazu, es wegzuwerfen? Wenn ein Franzose dich mit einem goldenen Napoleon bezahlt, wirfst du diesen auch weg, nur weil die darauf zu lesende Schrift nicht arabisch ist?“
    Er errötete, was seinem Gesicht bei dessen dunklem Teint eine eigentümliche Färbung

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