31 - Und Friede auf Erden
auch mich immer lieber gewann. Ich blieb sogar bei ihr und den anderen Damen sitzen, als nach Tisch die Herren einen Spaziergang durch den Garten unternahmen, um, ohne die Frauen zu beunruhigen, über ernste Dinge sprechen zu können. Hierbei fragte ich Mary nach dem Befinden ihres Vaters.
„Er ist ganz wohl“, antwortete sie. „Jetzt schläft er. Er macht auf mich den Eindruck, als ob er hier in eine ganz neue Atmosphäre gekommen sei, auch geistig. Der Transport in dieses gastliche Haus hat ihn nicht im geringsten angegriffen. Als ich es ihm in seinen Kissen bequem gemacht hatte, schaute er sich sehr lange wie suchend um und sagte dann erstaunt: ‚Der Knabe Waller ist weg! Wer wird nun kommen? Es muß doch jemand her!‘“
„Ist das wahr?“ fragte ich da schnell. „Diese Worte hat er gesagt? Wirklich, wirklich?“
„Ja“, antwortete sie. „Sie scheinen überrascht zu sein? Warum?“
„Bitte, sagen Sie mir erst: Haben Sie nur das von ihm gehört, oder auch noch etwas anderes?“
„Zunächst nur das. Hierauf lag er mehrere Stunden lang still. Er bewegte zuweilen die Lippen. Dann hörte ich wiederholt das Wort: Gott. Später das Wort: Mensch. Er schien dabei eifrig nachzudenken, bis er beide Worte zusammenfügte: Gottmensch. Nach längerer Zeit begann dasselbe Spiel, doch mit drei anderen Worten, nämlich Liebe, Selbstsucht und Menschlichkeit.“
„Was? Wirklich? Und das sagen Sie so ruhig? Ahnen Sie denn nicht, was das ist, was das bedeutet?“
„Nein. Ich hörte dann noch zwei- oder dreimal das Wort ‚Shen‘, dann schlief er ein, und ich ging hierher zum Essen.“
„So wissen Fang und Tsi noch nichts hiervon?“
„Noch nichts. Aber bitte, Sie sind ja aufgeregt; sie machen mir angst!“
„Angst? Ich Ihnen? Fällt mir gar nicht ein! Ich bin vielmehr ganz glücklich über das, was ich da von Ihnen höre. Kommen Sie schnell mit zu den Ärzten; wir dürfen ihnen diese Ihre Beobachtung keinen Augenblick länger vorenthalten! Die Damen müssen uns entschuldigen!“
Wir baten um Verzeihung, die uns auch sehr gern gegeben wurde, und gingen fort, um die Herren aufzusuchen. Schon nach kurzem sahen wir einen von ihnen. Das war Tsi, der bei einer interessanten Pflanze stehengeblieben war, die er betrachtete. Als sein Auge auf uns fiel, lächelte er über unsere Eile und fragte nach der Ursache derselben.
„Erinnern Sie sich noch des Gleichnisses von der Taucherrüstung?“ sagte ich.
„Ja“, nickte er.
„Mr. Waller ist eine verlassene Taucherrüstung. Wenn wir gut aufmerken, können wir es beobachten, wenn der neue Taucher kommt!“
„So ähnlich habe ich mich ausgedrückt, allerdings!“
„Nun, er ist da, dieser neue Taucher. Er hat die Anima bereits gezwungen, ihm die Sprachwerkzeuge abzutreten. Ich glaube, der kümmert sich nicht um Algen und um Tang, sondern wir werden Höheres und Besseres zu sehen bekommen. Ich vermute die größten und die schönsten Perlen der Tiefe!“
Da machte er ein ernstes, sehr ernstes Gesicht, trat einen Schritt zurück, ließ seine Augen langsam an mir niedergleiten und sprach:
„Herr, wer sind Sie denn eigentlich? Ich bin schon seit einiger Zeit im stillen irr an Ihnen! Nämlich seit Ihrer Übersetzung des malaiischen Gedichtes. Sie haben da Farben angewendet, die nur der Dichter von ‚Tragt Euer Evangelium hinaus‘ auf seiner Palette hat. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich Sie heimlich beobachte. Und jetzt nun gehen Sie auf mein Bild von der Taucherrüstung in einer Weise ein, als ob es von Ihnen stamme, nicht von mir. Heißen Sie wirklich so, wie Sie sich nennen?“
„Ja, bitte, sagen Sie uns das aufrichtig?“ schloß Mary sich dieser seiner Frage an. „Denn als damals bei der großen Wette in Uleh-leh gesagt wurde, daß Sie Bücher schreiben, da hatte man sich doch wohl vergaloppiert, und die herbeigezogene Erklärung stimmte nicht so recht. Bedenken Sie, daß Sie uns sich selbst verschweigen!“
„Hm! Zunächst etwas für mich sehr Wichtiges: Ihr Vater hat heut eine Parallele von zweimal drei Worten gebracht. Hieran schloß er das Wort ‚Shen‘, und dann hatte er innerlich Ruhe, denn er schlief ein. Wie ist er auf diese ‚Shen‘ gekommen? Kannte er es?“
„Ja. Sogar ich kannte es. Er hat doch Chinesisch getrieben, und als christlichem Pfarrer ist ihm das chinesische Wort für Menschlichkeit doch nahe genug gelegen. Außerdem fiel dieses Wort sehr häufig zwischen Mr. Tsi und mir, wenn wir uns bei Vater befanden und miteinander
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