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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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eine Sänfte, denn die Damen blieben daheim, und Mary als die einzige weibliche Person ritt tausendmal lieber, als daß sie sich tragen ließ. Die Überfahrt nach dem Festland geschah in geräumigen Booten. Waller hatte die ganze lange Nacht durchschlafen und wachte auch nicht auf, als er von seinem Lager in die Sänfte, aus dieser in das Boot und dann aus diesem wieder in die Sänfte gebracht werden mußte. Es fiel uns aber gar nicht ein, dies für ein bedenkliches Zeichen zu halten, wir waren ganz im Gegenteil sehr froh, daß es so stand. „Er sammelt“, drückte sich Tsi in sehr bezeichnender Weise aus, und hatte damit das Richtige gesagt.
    Als wir die Pferde bekamen, war niemand froher als mein Sejjid Omar. Er schwang sich sofort auf das für ihn bestimmte, um uns zu zeigen, daß er nichts verlernt habe, doch forderte ich ihn auf, von einem chinesischen Reitpferd keine arabischen Kunststücke zu verlangen. Wir hatten mandschurische Paßgänger von durchweg dunkelbrauner Farbe, welche der Chinese für die vornehmste hält, und durften nicht gestreckten Sitzes, sondern mit kurzen Bügeln und weit heraufgezogenen Knien reiten. Da schüttelte der gute Sejjid den Kopf, behielt aber das, was er dachte, bei sich selbst; er war gern höflich.
    Gestern hatte ich Fu und den Governor gebeten, gegen Mary Waller zu schweigen, um ihr nicht den Abend zu verderben und dann wahrscheinlich auch noch die Ruhe der Nacht zu rauben. Jetzt nun war es Zeit, ihr einen Wink über diesen ‚Robert Waller, genannt Dilke‘, zu geben, und ich wartete, sie während des Rittes einmal ganz allein an meine Seite zu bekommen.
    Der Morgen war ein ziemlich kühler, der Himmel bedeckt, also das Kreuz des Castle nicht zu sehen. Aber nach einiger Zeit erhob sich ein leises Lüftchen, welches hier unten bei uns nach und nach stärker, in der Höhe aber zum Wind wurde und die Feuchtigkeit zu Wolken ballte. Da kam Bewegung in die graue Schicht, welche sich von dem Strahl der Sonne nicht durchbrechen lassen wollte.
    Wir ritten eben zwischen einigen reich tragenden Kauliangfeldern hindurch, welche von fruchtbaren Obstbäumen eingefaßt waren, als sich die Wolken plötzlich hoch oben über uns teilten. Ein Strahlenkegel, wie aus einem in Himmelsnähe stehenden Leuchtturm kommend, brach durch und fiel hinüber auf die Berge, grad dahin, wo das Ziel unseres Rittes lag. Da flammte es augenblicklich auf, das Kreuz der Christenheit. „In hoc signo vinces – in diesem Zeichen wirst du siegen.“ Jawohl, das ist richtig. Aber nicht mit kriegerischen Waffen, durch gewappneten Verrat und Überfall, sondern durch das Wort der Liebe und durch die friedliche, versöhnende, ausgleichende Tat des Erlösers, welche er wagte, als er öffentlich sprach: „Die Letzten werden die Ersten und die Ersten werden die Letzten sein!“ Gleichen Raum und gleiches Recht für jeden, der zur Menschheit gehört auf Erden!
    Es war wie auf ein lautes Kommandowort, so einmütig hielten wir unsere Pferde an. Aller Augen waren hinaufgerichtet, von wo es zu uns herniederblitzte in unbeschreiblich brillierendem Demantlicht. Laute Ausrufe des Staunens, der Bewunderung erschollen. Wir hatten gar nicht acht, daß die Träger hinter uns auch angehalten und die Sänfte niedergesetzt hatten. Es war eine offene, denn es regnete ja nicht, und nur da, wo der Kopf lag, war ein schmales Schleiertuch angebracht, hinten niederhängend, nach vorn aber aufgeschlagen. Waller war jetzt aufgewacht, wahrscheinlich weil der schnelle Schritt seiner Träger plötzlich stockte. Ich war der einzige von uns, der das bemerkte, weil ich zufälligerweise der hinterste Reiter gewesen war und man die Sänfte nun fast gleich neben meinem Pferd hingestellt hatte.
    Der Kranke öffnete die Augen. Sein aus der vollständigen Bewußtlosigkeit auftauchender Blick fiel auf das in gegenwärtigen Moment fast überirdisch wirkende Kreuz. Wer war er? Und wo befand er sich? Er schien uns gar nicht zu sehen, keinen einzigen von uns! Er richtete sich auf, soweit er konnte, streckte die beiden Arme aus und öffnete den Mund, als ob er sprechen wolle. Aber er brachte kein Wort, kein einziges hervor. Nur ein Schrei erklang, ein großer, überlauter Schrei der Freude, der Wonne. Dann fiel er nach hinten zurück, schloß die Augen und faltete die Hände. Ein glückliches Lächeln ging über sein Gesicht. Dieser Schrei machte nun freilich auch die andern aufmerksam auf ihn. Ich winkte aber, daß man ihn nicht stören möge, und so war die

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