Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
es gerade der Wahrheit unmöglich ist, den Schein als Wahrheit hinzustellen. Werden wir uns klar! Die Strömung, welche jetzt gegen die Küste Chinas brandet, ist eine doppelte, nämlich eine religiöse und eine politische, und beide werden uns von ein und demselben Wind zugeführt, dem Egoismus. Fallen Sie mir nicht mit ‚Kulturaufgaben‘, ‚zivilisatorischen Pflichten‘ und ‚Sendboten des Christentums‘ in die Rede! Das sind Fiktionen, mit denen ein Kenner der Verhältnisse nicht irrezumachen ist! Wer von seiner Religion und von seiner Kulturform behauptet, daß sie die alleinseligmachende und er also ein Auserwählter Gottes sei, der ist eben ein Egoist in der höchsten Potenz, und Religion und Politik sind für ihn nur die Mittel, seine Selbstzwecke zu erreichen. Als Christ will er den ganzen Himmel und als Kaukasier die ganze Erde nur für sich allein haben. Sprechen wir nicht von der ‚Beglückung der Chinesen‘! Das ist Dekorationsmalerei, die nur in die Ferne wirkt, in der Nähe aber die Pinselarbeit um so häßlicher zeigt! Die chinesische Frage ist eine religiöse und eine Rassenfrage. Um von der religiösen zuerst zu sprechen, so ist sie für uns abgetan. Ich sagte bereits, daß die Christen, welche wir gestern bei uns willkommen hießen, schon heut die Torheit begingen, uns in Beziehung auf unsere Religion gute Lehren geben zu wollen. Sie waren so unwissend, daß sie gar nicht ahnten, was eine solche Beleidigung der Gastfreundschaft einem Volk gegenüber, dem die Höflichkeit der Umgangsformen über alles geht, zu bedeuten hat. Und sie sind auch heut noch so unwissend, nicht zu erkennen, daß ihre Mission trotz jahrhundertelanger Arbeit bei uns soviel wie nichts gewirkt haben, weil der Chinese die Behauptung, das Christentum sei die einzig seligmachende Religion, als eine krasse Unhöflichkeit, als persönliche Beleidigung auffaßt. Über dreihundert Millionen Menschen sollen mit allen ihren Ahnen viertausend Jahre zurück nichts als Dummköpfe gewesen sein! Und diese Beleidigung wird uns von Leuten in das Gesicht gesagt, welche ihren eigenen christlichen Brüdern wegen einer anderen Auslegung eines Bibelwortes im Leben die Kirchen- und dann selbst noch im Tode sogar die Gottesackertür verschließen! Welch eine Ungeheuerlichkeit! Haben sie es denn wirklich nicht gewußt, daß wir, das Volk der höchstentwickelten Umgangsform und Rücksichtnahme, die Mission zunächst und vor allen Dingen von diesem Standpunkt aus auffassen? Ein unhöflicher Mensch wird bei uns nie etwas erreichen, und der Missionar begeht gegen uns und unsere Ahnen die allergrößte und unverzeihlichste Unhöflichkeit, die sich ein Chinese denken kann! Und dabei weiß er nicht einmal, daß er nur oder meist aus diesem Grund keine Erfolge hat! Er will uns belehren und ist doch selbst nicht über unsere Art, zu denken und zu fühlen, belehrt! Ja, es hat einige verständliche christliche Sendboten gegeben, welche uns studierten und kennenlernten und dann einsahen, daß der Chinese zwar Christ, wenn man seine Eigenart gelten läßt, aber niemals Europäer werden könne. Sie handelten danach, wurden von unserem Kaiser hoch geehrt und konnten über die Früchte ihrer Arbeit glücklich heimberichten. Da aber verbot man ihnen diese Rücksichtnahme, und die Früchte blieben liegen und verfaulten. Meint man etwa, die bald hier und bald da emporlodernde Empörung gegen die Missionare richte sich gegen ihren Glauben? O nein! Selbst der ungebildetste Chinese hat wenigstens den einen Vorzug, in Beziehung auf die Religion tolerant zu sein. Diese Ausbrüche des angesammelten Zornes werden vielmehr durch die Art und Weise hervorgerufen, in der man diesen Glauben hoch über den unsern stellt und mit rücksichtslosen Sohlen unsere heiligsten Sitten und Gefühle niedertritt. Ich behaupte: Und wenn zehntausend Missionare so lange lebten, daß sie zehntausend Jahre lang ihre Religion bei uns verkünden könnten, so würde doch keiner von ihnen mehr erreichen, als was der einzelne bisher erreicht hat, wenn sie nicht ihr jetziges Verhalten ändern und uns als Menschen gelten lassen, die ihre eigenartige Entwicklung und also auch ihre eigene Art, zu denken und zu fühlen, haben. Ich gebe zu: es ist keineswegs ausgeschlossen, daß der Chinese ein Christ wird, aber er wird es nur dann, wenn er dabei Chinese bleiben kann!“
    Er hob bei diesen Worten die Hand wie zum Schwur empor. Ich hörte ihm an, wie ernst bei ihm alles, was er sagte, war. Zeit zu einem

Weitere Kostenlose Bücher