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voll.«
Und Miro sagt: »Damit kannst du locker eine Beziehung haben, Oli.«
Die beiden haben etwas Herzliches, ich glaub, die erkennen sich in mir, wie sie den ersten Tag hier saßen. Sie sehen, der Typ hat überhaupt keine Ahnung von der Veranstaltung. Mir wird klar, dass ich zu offen, zu freundlich bin. Im normalen Leben kann man die Leute mit Freundlichkeit und Humor entwaffnen, aber im Knast ist das der falsche Ansatz.
Ich sage: »Hoffentlich geht das gut mit meiner Freundin.«
Und Dragan sagt: »Wenn sie die paar Monate nicht packt, ist sie eh die Falsche.«
Es ist schon dunkel, als ich mit meinen Telefonkarten und einer Schachtel Marlboro bewaffnet, die vierte heute, über den Hof in Richtung Telefonzellen gehe. Ein paar Gefangene stehen da und warten in der Kälte, aber irgendwann wird endlich auch für mich eine frei und ich wähle die unglaublich lange Nummer des Hotels in Südamerika, wo meine Maus gerade jobmäßig ist. Ich lasse mich mit ihrem Zimmer verbinden, und tatsächlich, da ist sie, mit ihrer supersüßen Stimme.
»Hallo?«
»Und hier ist der Oli.«
Sie lacht und weint und schluchzt, verschluckt sich und bringt kein Wort raus. Sie hat nicht damit gerechnet, dass sie so schnell was von mir hört. Eigentlich wollte ich direkt loslegen mit Erzählen, aber jetzt stehe ich hier, die anderen Gefangenen neben mir, und ich denk nur, bitte, lass dich das nicht so berühren, wie’s dich in Wahrheit berührt, dann kannst du gleich mitheulen.
Das ist genau das, was ich nicht wollte, dass es ihr wegen mir schlecht geht, und ich kann ihr nicht helfen. Nähe, Zärtlichkeit, das Gefühl, dass du da bist, alles, was die Person grade braucht, kannst du ihr als Typ nicht geben. Alles, was dich zum Mann macht, angefangen von Schutz bieten, Sachen tragen, Sachen reparieren, Auto fahren, Sex oder sonst was, dafür fällst du aus. Du bist nur noch ’ne Idee, du bist nur noch ’ne Stimme am Telefon, weit weg.
Es ist ein sehr langes Telefonat, sie weint immer wieder und ist zu dem Zeitpunkt fünfmal fertiger mit der Welt als ich, dabei sitze ich im Knast. Das Einzige, wofür ich sorgen kann, ist, dass sie draußen wegen mir nicht eine noch härtere Zeit hat, und sie hat schon eine harte Zeit. Aber es muss ihr nicht noch schlechter gehen, nur weil es mir schlecht geht und ich es nicht schaffe, mich zusammenzureißen. Einerseits. Andererseits sitzt sie grade in Südamerika rum und geht gleich mit ein paar Kollegen in ein lustiges Lokal und danach irgendwo Cocktails trinken, und ich geh in die Zelle.
Wie willst du dich da nicht verrückt machen?
Das hat wahnsinnig viel mit gegenseitigem Vertrauen zu tun. Für sie ist das sehr einfach, Vertrauen in mich zu haben, ich bin eingesperrt. Aber ich merke, wie viel Vertrauen ich brauchen werde, um mich ihr gegenüber nicht unkorrekt zu verhalten, nichts in Frage zu stellen, nicht zu spekulieren und immer gut aufzupassen, dass sich meine Gedanken nicht verselbstständigen.
Ich überlege, wie die Situation andersrum wäre, wenn meine Freundin ins Gefängnis müsste. Ich würde durchdrehen, wahrscheinlich würde ich sie in den Kofferraum sperren und mit ihr flüchten. Ich hab ja sogar schon in der Freiheit Mädchen und die Liebe vermisst, sodass das zu einem Lebensstillstand geführt hat oder zur völligen Motivationslosigkeit, noch irgendwas zu machen.
Zurück in der Zelle gucke ich mir die ganzen unausgefüllten Anliegenblätter an und denke, jetzt beginnst du mit der Arbeit. Als Erstes bitte ich darum, dass mein Fernseher verplombt wird, beantrage einen Kabelanschluss und fülle gleich noch den Besuchsschein aus. Auf Platz eins schreibe ich meine Freundin, Platz zwei und drei lasse ich frei. Auf diese Weise kann mich außer ihr niemand besuchen. Ich hab nur eine Stunde alle zwei Wochen, da hab ich keine Lust, dass mir andere Leute die Zeit wegnehmen mit irgendwelchem Quatsch. Ich fühle mich ansonsten wie der alleinste Mensch auf der Welt.
Als die Bürokratie erledigt ist, setz ich mich hin und schreibe meiner Süßen den ersten Brief. Ich hab mir gedacht, ich schreibe ihr alles auf, damit sie absolut im Bilde ist, dass sie meine Mitgefangenen kennt, die Waschräume kennt, dass sie alles miterleben kann. Ich schreibe acht Seiten in meiner Krakelschrift, ab der dritten hab ich Krämpfe in der Hand und muss Übungen machen, damit ich weiterschreiben kann. Ich finde Schreiben super. Ich schreibe nicht verbittert, sondern sehr humorvoll, ich male auch Karikaturen an
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