314 - Exodus
Wir haben es zuerst nicht gewusst und es repariert. Wir wollten damit etwas tun. Aber was? Und wollten wir nicht auch mit Esteles reden? Oder haben wir geredet?
Sie verlor den Faden. Das Denken schmerzte. Warum denken, wo sie ein viel wichtigeres Problem in ihren Händen hielt. Ärgerlich schüttelte sie die Flasche, drehte sie auf den Kopf. Nein, so ging es nicht. Durst quälte sie. Wie lange hatte sie nicht getrunken? Einen Tag? Zwei?
Ein violettes Wabern lenkte sie von ihrer Aufgabe ab. Die Wolke kroch in den Raum. Sie bewegte sich langsam an der Decke vorwärts, schob sich durch das offene Schott immer weiter und weiter vor, bis sie ein Drittel der Fläche über Ishi bedeckte. Violettes Licht glühte auf und beleuchtete etwas in Ishis Augenwinkeln, das nicht sein durfte. Langsam drehte sie sich um, erfasste das Bild. Sie schrie auf. Da war die Schere. Mitten im Brustkorb von Angelis, der ausgestreckt in einer Blutlache auf dem Boden lag.
Die Flasche fiel aus ihrer Hand, Glas splitterte, Wasser spritzte. Sie bemerkte er kaum. Zitternd knirschten ihre Stiefel auf den Scherben, als sie sich Angelis näherte. Seine Augen waren weit aufgerissen, der Mund zu einem Schrei geöffnet, die Lippen blau. Er war tot.
»Nein, nein, nein«, wimmerte Ishi. Sie dachte an Esteles. Daran, wie liebevoll er die Schere gehalten hatte. Über ihr pulsierte die violette Wolke. Ihr Angriff konnte jederzeit erfolgen. Hatte Esteles die Wolke geschickt? Gehörte sie zu ihm?
Sie musste fort, sich in Sicherheit bringen. Aber wohin sollte sie? Ziellos wich sie von Angelis fort, bis sie mit der Hüfte hart gegen eine Tischplatte stieß. Sie drehte sich erschrocken herum. Akiro Noctis saß hinter ihr am Tisch, den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen. Seine halblangen blonden Haare hingen ihm wie ein Vorhang ins Gesicht.
»Noctis!« Seit Tagen gelang es ihr zum ersten Mal, seinen Namen auszusprechen. »Noctis, du musst mir helfen! Esteles ist verrückt geworden! Er hat die Wolke geschickt, das Funkgerät sabotiert und...« Was wollte sie noch sagen? Wieder verlor sie den Faden. Wie so oft in letzter Zeit. Aber dieses Mal war es lebenswichtig. Hinter ihr lag eine Leiche. Sie riss sich zusammen. »Hilf mir!«
Warum reagierte Noctis nicht?
»Noctis!« Sie packte seine Schultern. Sein Kopf fiel zurück, zeigte eine klaffende Wunde am Hals. Sie schrie, ließ ihn los und stolperte zurück.
Tot. Noctis war tot. Wie Angelis. Ein zweiter Leichnam, der nie wieder von seinem Stuhl aufstehen würde. Aus der violetten Wolke über ihr regneten Funken. Sie drehte sich schreiend um und rannte aus dem Raum. Draußen blieb sie stehen. Tränen liefen über ihr Gesicht. Wo sollte sie hin? Sie lauschte. Kamen da nicht Geräusche vom Labortrakt her? Es klang, als würde jemand mit einem Stock auf die Wände einschlagen. Schlag. Pause. Schlag. Pause. Ein langsam sich nähernder Rhythmus.
Esteles , dachte sie zitternd. Jetzt kommt er. Er hat mich schreien gehört. Er kommt mich holen.
Die Wolke kroch von der Decke herab zum Boden. Sie änderte ihre Gestalt, formte ein Gesicht aus. Das Gesicht von Esteles.
»Ishi!«, rief eine fröhliche Stimme durch den Gang. »Ishi komm, lass uns Fangen spielen.«
Sie hatte sich die Geräusche nicht eingebildet. Wieder schlug etwas gegen Metall. Schlag. Pause. Schlag. Ein Hammer? Eine Axt?
Weg, weg, weg... Sie stolperte los, von den Geräuschen fort. Da gab es etwas, das sie tun musste. Hilfe. Sie brauchte Hilfe. In ihren Gedanken blitzte der Name AKINA auf. Sie musste die AKINA rufen.
Neue Bilder erschienen. Ein Funkgerät. Der Raum, in dem sie schon so lange nicht gewesen war. Hektisch schlug sie die Richtung zur Zentrale ein. Hinter sich hörte sie Esteles lachen.
»Wo willst du denn hin, Miststück? Raus auf den Mond? Dich verstecken? Vergiss es, ich habe den Ausgang verriegelt. Du kommst nicht raus. Nicht lebend.«
Ishi presste sich die Hände auf die Ohren. Sie stolperte und stieß gegen einen Rollbehälter aus Metall. Panisch drückte sie ihn von sich. Weiter. Hin zu ihrem Ziel, dem Raum mit dem Funkgerät. Sie musste den Raum erreichen. Was sie dort wollte oder sich davon erhoffte, wusste sie nicht genau. Aber der Gedanke trieb sie vorwärts.
Sie erreichte die Funkzentrale und drehte sich um. Esteles kam ihr noch immer hinterher. Sie hörte das Geräusch der Schläge gegen die Wand. Das Schott. Sie musste es schließen, bevor er sie erreichte. Aber wie ging das noch?
Verzweifelt sah sie sich um. Denk
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