314 - Exodus
flimmerten in Kolonnen über der silbrigen Oberfläche. Der über dreitausendvierhundert Kilometer durchmessende Erdtrabant diente ihnen als neuer Zielpunkt. Denn was sie anvisieren wollten, befand sich nicht auf der Erde, sondern im Weltall.
Mit angehaltenem Atem wartete Matt darauf, ob die Justierung der Zieloptik diesmal vom System angenommen wurde. Bereits mehrfach hatten sie die Einstellungen einprogrammiert, aber die Peilung war nie von Dauer gewesen und durch die Voreinstellungen des hydritischen Systems immer wieder zurück auf die Erde gesprungen. Der Flächenräumer war nie dafür gedacht gewesen, Ziele außerhalb der Erdkruste anzuvisieren. Doch nun schien Miki Takeo, der die Rolle des fehlenden Koordinators eingenommen hatte, endlich dauerhafte Änderungen in der Waffenanlage vorgenommen zu haben.
Während Matt mit vorgelehntem Oberkörper beobachtete, ob das Bild konstant blieb, dachte er an den Streiter. Das kosmische Wesen konnte jede Stunde in Erdnähe ankommen. Der Daa’mure Grao’sil’aana – früher ein Dienerwesen des Wandlers – war vor wenigen Tagen von ihm kontaktiert worden. Er hatte diese Verbindung nur überstanden, weil sie ihn umgehend in Eis gepackt und damit seinen thermophilen Körper quasi auf »Not-Aus« gestellt hatten. [1] In seinem Inneren herrschten Temperaturen von mehreren hundert Grad; die Eiseskälte verlangsamte sein Denken und seine Motorik und schützte ihn vor dem mentalen Zugriff des Streiters.
Wie viel Zeit bleibt uns noch? , dachte Matt einmal mehr. Wann haben wir ausgespielt?
Um die Gefahr durch den Streiter abzuwenden, kämpften er, die Hydriten Gilam’esh und Quart’ol, die Marsianer Vogler und Clarice, der Androide Miki Takeo sowie der Retrologe Meinhart Steintrieb und Matts Begleiterin Xij Hamlet seit Wochen um die volle Einsatzbereitschaft des Flächenräumers. Zwei Opfer hatten sie bei ihren Bemühungen bereits zu betrauern: Die Marsianer Mariann Braxton und Sinosi Gonzales waren von einem Wesen aus einer Zeitblase getötet worden. Auch die Besatzung der AKINA schien verloren. Zumindest hatte die Mondbasis nach einer letzten empfangenen Nachricht keinen Kontakt mehr zu dem Schiff, das dem Streiter entgegengeflogen war.
Und das alles, um die größte Waffe der hydritischen Geschichte neu aufzuladen und auszurichten, damit man auf den Streiter schießen und einen Teil von ihm – einen lebenswichtigen, wie alle nur hoffen konnten – durch Raum und Zeit in eine ferne Zukunft versetzen konnte.
Dies jedenfalls war ihr erster Plan gewesen. Bevor sie mit eben jener letzten Nachricht der AKINA eine Information erreichte, die in Matt einen Geistesblitz gezündet hatte. Er erinnerte sich noch genau daran, was Vogler nach einem Funkkontakt mit dem letzten Überlebenden der Mondstation berichtet hatte.
» Die AKINA hatte eine Sonde gestartet. Kurz nachdem sie auf den Streiter traf, brach die Übertragung ab. Aber für ein paar Sekunden hat sie noch interessante Daten geliefert, die erklären könnten, warum der Streiter sich optisch nicht erfassen lässt. Er besteht zu einem großen Anteil aus Teilchen, die sich schneller bewegen als das Licht. Aus Tachyonen!«
Tachyonen! Jene Teilchen, denen Matt seine relative Unsterblichkeit verdankte – und von denen sich auch der lebende Stein namens Mutter ernährt hatte, dessen Ursprung tief unter der Erde Ostdoyzlands lag.
Xij hatte sofort begriffen, als er den Gefährten von seiner Idee berichtete. »Das Flöz!«, stieß sie aus. »Du denkst an den Ursprung!«
»Richtig.« Matts Herz schlug vor Aufregung schneller. »Wir haben verhindern können, dass Mutter zum Ursprung zurückkehrte, aber er schläft weiterhin dort unten, und er hat dieselbe Substanz wie sie.« Kurz fuhr ihm durch den Kopf, wie irrsinnig sich das anhören musste: Er sprach über einen Stein wie über eine Person. Aber nichts anderes war Mutter gewesen: ein denkendes, intelligentes Wesen, das nur zwei gravierende Fehler hatte: Es schuf sich schattenhafte Sklaven, und es raubte den Menschen alle Lebensenergie und versteinerte sie damit.
Doch letztere Eigenschaft konnte ihnen nun nützlich sein!
»Ich bin mir sicher: Wenn wir einen Teil des Ursprungs in den Streiter hineinversetzen, wird das zu derselben Reaktion führen wie bei Mutter: Er wird alle Tachyonen im weiten Umkreis an sich reißen –«
»- und den Streiter versteinern!«, rief Xij begeistert.
Auch Steintrieb hatte mittlerweile begriffen. Auch wenn er Mutter nie selbst begegnet war,
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