316 - Die Pest in Venedig
wurden.
Sicher waren die Methoden der Hinrichtung zum Teil barbarischer als ein elektrischer Stuhl, trotzdem gab es auch in dieser Zeit eine Rechtsprechung. Wenn der Savi Xij misstraute oder sie im schlimmsten Fall wirklich für eine Hexe hielt, würde er sie dem Gericht übergeben. Dem abergläubischen Volk standen studierte Menschen gegenüber. Wie bei der Verfolgung der Juden kam bei vielen Hexenprozessen Besitz oder Erbe ins Spiel. Der Hexenglaube wurde gern als Machtmittel genutzt, um Familien ins Unglück zu stürzen. Da Xij nichts zu bieten hatte, standen ihre Chancen gut.
Matt entschied sich für eine Kontaktaufnahme. Eilig legte er sich eine Geschichte zurecht, von der er hoffte, sie würde mit Xijs Aussagen halbwegs übereinstimmen. In einer demütigen Haltung, die er für einen Priester angemessen hielt, ging er auf eine Wache nahe dem Eingang zu. Der Wachmann hatte schwarze Haare und einen dunklen Teint. Seine Augen blickten ihm wachsam, aber nicht unfreundlich entgegen. Matt blieb in sicherem Abstand vor ihm stehen.
»Verzeihung. Mein Name ist Matthias Drechs. Ich bin auf der Suche nach einer entfernten Familienangehörigen, die heute in Venedig ankommen sollte. Anscheinend ist ihr auf dem Markusplatz ein Unglück widerfahren und nun bin ich in großer Sorge um sie.«
Der Mann kratzte sich am Bart und fragte etwas auf Italienisch. Matt beherrschte diese Sprache zwar nicht, wohl aber die der Wandernden Völker, in der sich viele europäische Idiome mischten. Bei dem, was die Wache da abließ, war er jedoch nicht einmal sicher, ob es sich überhaupt um Italienisch handelte. Der Dialekt erschien im schlimmer als schnell gesprochenes Bayrisch.
»Plus lentement«, sagte er auf Französisch. »Bitte, langsamer. Ich verstehe kein Wort.«
Doch auch auf das Französische reagierte die Wache nicht. Sie redete weiterhin auf Matt ein, bis er genervt beide Hände hob und in Versuchung geriet, gemäß seiner Tarnung wirklich zu beten. Er deutete auf eine Frau, die gerade ein Stück entfernt vorbei ging.
»Ich suche eine Frau.« Dieses Mal versuchte er es mit der Barbarensprache in der Hoffnung, dass sie ausreichend kompatibel war. »Kannst du mich zu ihr bringen?« Er zeigte auf die Frau, dann auf die Wache.
Der Wachmann wurde von einem Moment zu anderen dunkelrot vor Zorn. In noch schnellerem, nun sehr lauten Italienisch wurde Matt irgendetwas verdeutlicht, das er schon wieder nicht verstand. Der breitmäulige Wachmann, der immer wieder den Namen »Franco« benutzte und dabei auf sich zeigte, schien kurz davorzustehen, Matt ungespitzt in den Boden zu rammen.
Matthew Drax überlegte verzweifelt, was er Falsches gesagt haben könnte. Abwiegelnd hob er die Hände. »Schon gut! Ich gehe ja.« Besser, er zog sich zurück und beobachtete das Haus eine Weile. Vielleicht konnte er es auch nach einem Wachwechsel erneut versuchen. Er schob Franco von sich und machte zwei Schritte zurück. Als er im Haus den Schrei einer Frau hörte, blieb er stehen. Die Stimme erkannte er sofort. »Xij!«
Franco und er starrten zum Gebäude hin. Matt wollte losstürmen, doch der kleinere Kerl versperrte ihm den Weg. Zum Glück trug Franco weder eine schwere Rüstung noch einen Helm. Über der festen, einfachen Kleidung aus Unter- und Obergewand lag eine Gugel [3] , die Matt packte. Er riss den überraschten Franco herum und stieß ihn von sich. So schnell es seine lange Kutte erlaubte, rannte er auf die Tür zu.
***
Xij stieß beide Arme zwischen die Handgelenke Angelo da Bellinis und riss sie auseinander. Der Griff um ihren Hals löste sich. Gierig schnappte sie nach Luft, hatte aber kaum Zeit, die Atempause zu genießen. Bellinis Faust flog auf ihr Gesicht zu. Sie riss den Kopf zur Seite, seine Finger schrammten über ihr Jochbein. Hastig stellte sie die Füße auf, ging in eine Brücke und kippte Bellini von sich fort. Er rutschte mit einem überraschten Laut von ihr ab.
Gedankenschnell riss Xij ein Bein herum und hämmerte es gegen seinen Oberkörper. Sie sprang schwer atmend hoch und stürzte zur Tür. Aber da Bellini war schneller, als sie dachte. Er wälzte sich herum, schon halb auf den Knien, und packte den Saum ihres Kleides. Xij schrie hell auf, als es sie zurückriss und sie stürzte. Da Bellini zerrte weiter an dem Kleid, in dem sie nun gefangen war. Der Stoff des langen Rocks bauschte sich über ihren Kopf und machte sie blind.
Verdammte unsinnige Mode! , fluchte sie innerlich und tat in der Not das einzig
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