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316 - Die Pest in Venedig

316 - Die Pest in Venedig

Titel: 316 - Die Pest in Venedig
Autoren: Michelle Stern
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Wänden. Auf einem Regal reihten sich mehrere ausgestopfte Vögel. Es gab keine Schränke, nur ein mit Leinentuch verhülltes Objekt von vielleicht zwei Metern Höhe. Es hätte eine Standuhr sein können, doch es besaß Konturen, die entfernt an einen Menschen erinnerten. Ein weiterer Toter?
    Vor dem Gebilde entdeckte Xij eine Art Falltür im Boden. Ein darin eingelassener, abgenutzter Metallring wies auf häufigen Gebrauch hin. Sie blinzelte. Eine Tür im Boden, das war ungewöhnlich. Viele Häuser Venedigs standen auf Holz-Stelen. Keller gab es so gut wie keine. Wahrscheinlicher war, dass es sich um einen geheimen Fluchtweg handelte, der aus dem Haus führte.
    Noch einmal blickte sie zu der Frauenleiche hin, dann traf sie ihre Entscheidung. Sie lief zu der Falltür im Boden, zog an dem eisernen Ring mit dem Löwenkopf. Die Tür ließ sich nicht aufziehen. Xij lehnte ihr ganzes Körpergewicht vergeblich in den Zug. So ein verdammter Mist. Da finde ich eine Tür, die vielleicht in die Freiheit führt...
    Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung, die sie ablenkte. Xij hielt inne und ließ den Ring los. Kampfbereit fuhr sie herum. Hatte sich die Gestalt unter dem Tuch etwa bewegt? Das Leinentuch lag still. Ihre Nerven spielten verrückt, sie musste sich die Bewegung eingebildet haben.
    »Okay«, sagte sie laut, um sich zu beruhigen. Die Worte vertrieben einen Teil der Angst. »Ich werde von hier verschwinden. Ich muss irgendwas finden, womit ich eine der Wachen niederschlagen kann. Bin ich erst draußen, habe ich gute Chancen. Ich kenne die Kanäle und Gassen.«
    Matt zu finden, erschien ihr zweitrangig. Die Situation hatte sich geändert. Sie konnte später immer noch zum Markusplatz zurückkehren, um dort darauf zu hoffen, dass sie einander wieder fanden.
    Das Tuch zuckte leicht. Diesmal bewegte es sich ganz sicher, es war keine Einbildung gewesen.
    »Was bei allen Heiligen...« Xij wich zurück. Lebte der Körper unter dem Tuch noch... oder wieder ? In was für ein Horrorkabinett war sie geraten? Mit weit aufgerissenen Augen sah sie eine weiß schimmernde Klauenhand, die sich unter dem Stoff hervor schob.
    Raus aus dem Zimmer , zischte Manil’bud in ihren Gedanken. Es war das erste Mal seit der hässlichen Szene auf dem Markusplatz, dass ihr erstes Ich wieder zu ihr sprach.
    So weit war ich auch schon! Xij drehte sich um und lief los. Sie kam nicht weit. Kurz hinter der Geheimtür prallte sie gegen Angelo da Bellini. Der hochgewachsene Mann packte ihre Handgelenke mit der Kraft eines Ringers. Seine blauen Augen sahen sie tadelnd an. »Lehrt man euch Mädchen aus Dutschelant nicht, geheime Zimmer zu meiden?«
    Xij zog das Knie an und stieß es ihm mit voller Wucht zwischen die Beine. »Wir lernen nützliche Dinge. Zumindest da, wo ich herkomme.« Mit diesen Worten riss sie sich los und rannte durch den Flur zum Ausgang. Sie hatte die Tür fast erreicht, als eine Murano-Vase gegen ihren Hinterkopf prallte. Buntes Glas splitterte. Xij taumelte und stürzte mit dem Gesicht voran zu Boden.
    Sie schaffte es noch, sich auf den Rücken zu drehen, dann war da Bellini über ihr und warf sich auf sie. Seine Hände packten ihren Hals. »Du bist nicht die, die zu sein du vorgibst, oder?«, rief er zornig. »Du wurdest geschickt, mich auszuspionieren! Aber damit ist es vorbei! Du hast dein Leben verwirkt!«
    Vor Xijs Augen tanzten rote Punkte. Wenn sie sich nicht schnell aus seinem Griff befreite, würde sie das Bewusstsein verlieren... und selbst auf der Liege enden?
    ***
    In einer anderen Zeit
    Quart’ol kam zwei Zyklen lang nicht zurück. Gilam’esh gab die Hoffnung auf, ihn bald wiederzusehen. Ob sich der Freund allein auf den Weg zum Flächenräumer gemacht hatte? Er hoffte, dass Quart’ol sich bald fing und zur Vernunft kam.
    Wenn Gilam’esh an die Anfangszeit dachte, nachdem sein Geist in den Strahl der Hydree geraten war, verstand er seinen Freund nur zu gut. Damals hatte er auf Rotgrund seinen Körper verloren und sein Geist war im Zeitstrahl gefangen gewesen – über dreieinhalb Milliarden Jahre lang! Eine unvorstellbare, kaum zu messende Zeit, die ihn in den Wahnsinn getrieben hatte.
    Die Verlorenheit von damals musste auch Quart’ol jetzt fühlen. Doch die Situation war diesmal anders. Auch wenn er E’fah und alles vermisste, was er in der Welt hinter dem Flächenräumer zurückließ – er konnte zumindest mit anderen Wesen reden. Für Gilam’esh war es eine vollkommene Isolation ohne Aussicht auf ein
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