317 - Die letzten Stunden von Sodom
zu einer Luke.
Minuten später standen sie in einem runden Raum voller Regale und Papyrusrollen. Sie hätten von hier aus vermutlich eine großartige Aussicht auf das Tote Meer gehabt, wären nicht inzwischen finstere Wolken aufgezogen: Über dem Gewässer wogten dichte graue Nebelschwaden.
Enoch stellte dem Gelehrten, ein kleiner dicker Mann mit einem schütteren Haarkranz und schlauen schwarzen Äuglein, seine Begleiter vor. Seinen Namen verstand keiner der drei, aber er war der Kartograph der Stadt, ihrer Bauwerke und sämtlicher bekannten unterirdischen Räume. Zu den unterirdischen Räumen zählten nicht nur Vorrats-, Wein-, Folterkeller und Verliese, sondern auch Grotten und Höhlen, auf die man bei Grabungsarbeiten gestoßen war. Weitaus mehr bekannte Hohlräume existierten außerhalb der Stadtmauer, auf dem Landstreifen, der zum Toten Meer hinab führte.
»Auf dieser Karte hier«, sagte der Gelehrte und breitete einen quadratmetergroßen Wildlederlappen auf dem Kartentisch aus, »sind alle Stellen verzeichnet, an denen innerhalb und außerhalb der Stadt Gas ausgetreten ist.«
Obwohl Xij mit dem Gelehrten redete, schaute dieser bei seinen Ausführungen Matt an. Er konnte sich wohl nicht vorstellen, dass ein Jüngling wie Xij das Kommando führte. »Wie du siehst, Mann aus dem Engelland, haben wir in Sodom selbst lediglich fünf Austrittslöcher verzeichnet. Wir haben überhaupt nur Kenntnis von ihnen erlangt, weil das ausgetretene Gas zufällig mit Feuer in Berührung kam, und sie sofort mit Teer versiegelt.«
Matt begutachtete die Stellen, an denen das Gas ausgetreten war. Alle befanden sich in der Nähe dieses Turms, der dicht an der Stadtmauer lag. Weit mehr Fundstellen, etwa zwanzig, waren außerhalb der Mauer verzeichnet – auf dem Gelände, das zum Toten Meer hin absank.
»Draußen hat es noch nicht gebrannt«, sagte der Gelehrte, »aber der Gestank, der durch die Löcher nach oben steigt, übersteigt das Maß des Erträglichen.« Er rümpfte die Nase. »Wenn ihr euch dort umsehen wollt, kann ich euch nur bedauern.«
Xij rümpfte ebenfalls die Nase. Ihnen blieb auf dieser Mission wohl nichts erspart.
Wieder ging Matthew Drax der Gedanke durch den Kopf, ob sich ihre selbst auferlegte Mission hier überhaupt lohnte. Was, wenn der biblische Untergang Sodoms auf jene Gasblasen unter der Stadt zurückging... beziehungsweise zurückgehen würde , vielleicht sogar schon in einigen Tagen, Wochen oder Monaten.
Warum, fragte sich Matt, verschwinden wir also nicht einfach? Er gab sich die Antwort selbst: Weil keineswegs sicher ist, dass es schon bald geschieht. Sollten die Asseln die ganze Stadt infizieren und ausrotten, würde Sodom vielleicht sogar niemals untergehen – und zu einer Todesfalle für alle werden, die sich hierher begaben.
Und das würde ohne Frage weit reichende Auswirkungen auf die Zukunft haben. Sie mussten diese Brut aus dem Boden locken und oberirdisch vernichten, sonst vernichtete sie vielleicht irgendwann die Menschheit.
Aber wie sollten sie der Bedrohung Herr werden, wenn sie die Asseln nicht mit flüssigem Feuer bekämpfen durften? Er stellte die Frage in die Runde.
»Vielleicht könnte man das Gas kontrolliert abfackeln, bevor wir brennbare Flüssigkeiten einleiten«, schlug Grao vor.
Matt schüttelte den Kopf. »Erstens würde das viel zu lange dauern, und zweitens... würden wir viele tausend Leben retten, wenn die Stadt später tatsächlich durch eine Gasexplosion zerstört werden sollte. Auch so würden wir die Geschichte nachhaltig verändern.«
Diesen Teil seiner Ausführungen übersetzte Xij natürlich nicht. Sie nickte ihren Gefährten zu. »Wenn es stimmt, was in der Bibel steht, muss Sodom untergehen. Aus welchem Grund auch immer.«
»Was haltet ihr von einem Duftstoff, der die Asseln anzieht?«, schlug Grao vor. »Damit könnte man sie aus der Erde hervorlocken und oberirdisch vernichten.«
»Oder wir setzen Gift ein«, sagte Xij. »Das kann man in Wasser aufgelöst in alle Erdlöcher in der Stadt schütten.«
»Und außerhalb.« Matt nickte. Auch wenn Graos Idee nicht von der Hand zu weisen war, sie kränkelte an der Tatsache, dass sie bislang kein Lockmittel hatten. Ein starkes Gift würde jedoch mit Sicherheit in Sodom aufzutreiben sein.
»Beide Vorschläge haben etwas für sich«, sagte er diplomatisch, »aber der von Xij lässt sich schneller realisieren. Und dir kommt es ja auf schnelle Lösung an, nicht wahr, Grao?«
Der Daa’mure in
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